Narrentod
gegangen«, gibt Jüre zu bedenken. »Eichenberger hätte sich zu seiner Exfrau umgewandt und sie zweifellos erkannt. Ob Murer dann noch die Kaltblütigkeit gehabt hätte, ihren Fabian tödlich zu verletzen, ist höchst fraglich .«
»Ja, da hast du recht«, räume ich ein. »Mit dem Mammut als Tatverdächtige entwickelt sich das Drama in eine neue Richtung. Wir müssen vermehrt das Verhältnis zwischen Murer und Eichenberger fokussieren .«
Ich gebe zu, dass mein Menschenbild ins Wanken geraten ist. Ich hätte es der liebenswerten Mutti im hellgrünen Trainingsanzug auf Anhieb nicht zugetraut, einerseits das mitleiderweckende Geschöpf zu mimen und andererseits als kaltblütige Mörderin auf Rache zu sinnen. In dieser Frau kann man sich offenbar nur täuschen.
Wird allenfalls Hauptmann Geissbühler weiterhelfen? Was hat die Polizei inzwischen herausgefunden? Um welche Verdächtigen zieht sie ihr Netz zusammen? Zappelt auch bei Geissbühler ein zinnoberroter Fisch mit Sommersprossen und abstehenden Ohren im Netz? Zweifelt er ebenfalls an Murers Unschuld? Sprechen auch sie bereits von einem dringenden Tatverdacht? Müsste nicht umgehend ein Haftbefehl erlassen werden?
35
Dienstag, 19.30 Uhr.
Bei der Kapo an der Allmendstrasse machen sie bereits Feierabend. Auf dem Anrufbeantworter leiert eine monotone Beamtenstimme die Öffnungszeiten herunter.
›In dringenden Fällen wählen Sie bitte Nummer 117.‹
»… oder Sie fragen an der Bar der Genossenschaftsbeiz Alpenrösli nach dem diensthabenden Polizeioffizier«, ergänze ich halblaut.
Den Pikettdienst für Notfälle will ich nicht bemühen. Ich wähle daher die Privatnummer von Hauptmann Geissbühler. Ich erachte es als wichtig genug, ihm unseren Verdacht bezüglich Frau Murer sofort bekannt zu geben. Es könnte sich allenfalls als sinnvoll erweisen, wenn sie vom Spital aus direkt in Untersuchungshaft genommen würde. Immerhin besteht meiner Meinung nach eine gewisse Verdunkelungsgefahr. Vor allem muss unverzüglich abgeklärt werden, wie und wo sie Gelegenheit bekommen hat, an die Medikamente heranzukommen. Zudem muss Klarheit darüber geschaffen werden, wie es ihr gelungen ist, diese an Fabian Eichenberger zu verabreichen, ohne dass er es gemerkt hat. Das heißt, er hat es dann später schon gemerkt.
Das Mobiltelefon von Geissbühler scheint momentan abgestellt zu sein. Ich hinterlasse darum eine Mitteilung auf seiner Combox.
»Guten Abend, Herr Geissbühler. Hans-Peter Feller. Es haben sich neue Erkenntnisse aufgedrängt. Sie beziehen sich auf Margret Murer. Es wäre mir wichtig, wenn wir uns noch heute darüber unterhalten könnten. Bitte rufen Sie mich doch auf meinem Handy zurück. Besten Dank.«
Vor wenigen Augenblicken haben sich Lilo und ich von Jürg Lüthi verabschiedet. Nach dem erfolglosen Anruf bei Geissbühler steige ich auf mein Moped und breche auf. Vorbei am Lachenstadion kurve ich in die Seestrasse und folge ihr, vorbei am Schloss Schadau und der Scherzligkirche bis zum verstopften Bahnhofplatz. Dort fahren alle gelben Stadtbusse gleichzeitig los und blockieren dadurch für Minuten den Verkehr. Ich schlängle mich halsbrecherisch durch die stehende Autokolonne, so wie ich es einst von meinen Schülern gelernt habe. Ich habe gewaltigen Stalldrang.
An der Hofstettenstrasse entschließe ich mich, mir heute etwas Gutes zu kochen, nach all den schlechten Neuigkeiten. Soll ich Jüre und Marie-Josette kurzfristig zum Essen einladen? Oder hat der Stapi noch nichts zwischen die Zähne gekriegt? Ich entnehme der obersten Küchenschublade ein Kochbuch und blättere darin. Da. Das tönt appetitlich: Die versteckte Zungenwurst.
Es ist ein gluschtiges Menu, das ich in meinem sündhaft teuren Kochbuch für die schweizerische Mikrowellenküche finde. Sofort macht es mich neugierig. Eigentlich sogar mehr neugierig als hungrig. Rasch wird mir klar, dass ich für eine Einladung zu wenig Zutaten auf Lager hätte. Immerhin bleiben, wie bei einem guten Krimi, anfänglich viele Fragen offen. Wo versteckt sich das feige Würstchen? Was hat es verbrochen? Warum muss es sich verstecken? Wer bietet ihm Unterschlupf? Und wer haut das Zünglein an der Waage am Ende in die Pfanne?
Das Menü für zwei Personen verlangt nach 300 Gramm Zungenwurst, gehäutet und gewürfelt. Da liegt wohl einer der Gründe für Würstchens Versuch, sich zu verstecken. Die krude Behandlung tönt nach Strafe. Wer will schon unschuldig gehäutet und gewürfelt werden?
Es ist nur ein
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