Narrentod
seine Lippen schürzt und die Brauen hebt. So entfaltet er zwar die Augenpartie, verunstaltet die Stirn dafür umso mehr zum Faltengebirge. Warum er den Eindruck hat, dass sein Gehirn hinter einer gerunzelten Stirn besser funktioniere, bleibt mir ein Rätsel.
»Wenn ich deine Probleme hätte, Hanspudi, zögen sich meine Falten bis zum Arsch«, kommentiert er meine Hypothese feinfühlig. Allerdings ist er mit seiner Denkerstirn bei Weitem nicht allein. So manche Zeitgenossen tun es ihm gleich und runzeln, was die Epidermis hält, mal nachdenklich, mal fragend, mal sinnend oder ratlos ihre intellektuellste Hautpartie zwischen Augenpaar und Haaransatz. Wird die Wissenschaft hier eines Tages Klarheit schaffen?
Man könnte eine Studie durchführen, in der drei Gruppen von Versuchspersonen figurieren. Eine Riege von vielleicht 50 Probanden müsste beim Nachdenken bewusst die Stirn falten, ebenso viele müssten sich zwingen, das Runzeln zu unterlassen, und einer dritten Gruppe würde die Stirn mit Botox platt gespritzt. Nun könnte man allen 150 Versuchspersonen dieselben Denkaufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade vorlegen. Die Anzahl von Lösungen und die durchschnittliche Lösungszeit würden Aufschluss darüber geben, ob Menschen mit gefalteter Stirn besser denken. Die Frage des Warum bliebe damit allerdings noch unbeantwortet. Da käme man vermutlich nicht um neurologische Methoden herum. Und man müsste selbstverständlich darauf achten, dass in jeder der drei Versuchsgruppen Probanden vergleichbarer Intelligenz vertreten wären.
Zudem habe ich beobachtet, dass Jüre nicht sprechen kann, wenn er nachdenkt. Zum Glück aber denken, bevor er redet. Dazu braucht es keine wissenschaftliche Untersuchung. Das merkt man auch so. Warum wäre ich sonst immer wieder sprachlos, wenn er meine gescheiten Bemerkungen kontert?
»Hm, möglicherweise hast du recht . Der Kosename und die vertraute Stimme könnten tatsächlich die Erkennungszeichen für Margret Murer gewesen sein«, vermutet Jüre. »Und sie hat in dem Moment begriffen, dass sie den Falschen ermordet hat. Vor lauter Schreck ist sie dann in Ohnmacht gefallen. Fertig, Schluss.«
»Schrecklich. Und dieses Monster einer blind mordenden Furie habe ich bedauert und zweimal im Spital besucht«, grolle ich.
»War’s umsonst, Hanspudi ?« , fragt Lilo.
»Wieso?«
»Was genau hat sie dir auf dem Krankenlager anvertraut ?« , will sie wissen.
Ich versuche, mich zu erinnern. Irgendwie habe ich aber gerade einen Blackout. Ich greife nach meinem Glas. Es ist jetzt leer. Wie mein Kopf. Die intensive Ermittlungsarbeit der letzten 48 Stunden macht sich bemerkbar. Und der Frust, dass es nun so aussieht, als wäre der ganze Ermittlungsaufwand mit den Verdächtigen rund um den Fall Dummermuth mehr oder weniger vergeblich gewesen.
Dann sehe ich Murer plötzlich wieder vor mir, wie sie auf dem Krankenlager liegt und wortwörtlich sagt, Erika Pfund habe ihr den Fabian doch noch ausgespannt.
»Aus welchen Gründen hätte Margret Murer ihren geschiedenen Ehemann erst gestern ermorden sollen? Die Scheidung liegt doch schon ein paar Jahre zurück. Und warum hätte sie sich dazu ausgerechnet den Ausschiesset aussuchen sollen? Wie hätte sie das ihrem geliebten Sohn antun können, der offensichtlich an seinem Adoptivvater hängt ?« , fragt die Rektorin.
»Sie fühlte sich gedemütigt und mochte den Fabian ihrer Konkurrentin nicht gönnen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass sie ihn und nicht Erika Eichenberger im Visier hatte. Lieber wusste sie ihn auf dem Friedhof, als in deren Bett«, folgere ich.
»Da muss ihr der fatale Gedanke gekommen sein, das Durcheinander des Volksfestes zu einem hinterhältigen Übergriff zu missbrauchen. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass er den Fulehung spielte«, fährt Jüre fort.
Und Lilo schließt den Gedankenbogen mit folgender Feststellung: »Es kam ihr darum nicht in den Sinn, dass jemand anderes im Kostüm stecken könnte. Ihre Mordlust verunmöglichte ihr das klare Denken .«
»Dann fehlten ihr bestimmt auch die Falten auf der Stirn«, spottet Jüre.
»Vermutlich. Sie hatte es jedenfalls unterlassen, die Identität des Maskierten zu klären, bevor sie ihn tötete«, sage ich.
»Wie hätte sie das anstellen können ?« , fragt Lilo.
»Sie hätte ihn ansprechen müssen. Offenbar ist sie ja in der Lage, Eichenbergers Stimme eindeutig zu identifizieren«, antworte ich.
»Aber dann wäre das Überraschungsmoment verloren
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