Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
plötzlich. Vor der Bühne hatten die Tänzer einen Pulk gebildet. Ein Schwächeanfall, dachte sich Hubertus. Während er zwei Sekt-Orange für Elke und sich bestellte, suchten seine Blicke Martina.
Verdammt, er hatte sie für einen Moment aus den Augen verloren. Hubertus wurde es mulmig. Der Enkel? Didis ungelenke Tanzbewegungen?
»Martina!«, schrie Hubertus so laut, dass selbst ein ziemlich angetrunkener älterer Herr neben ihm wieder die Hand aus der Bluse seiner jüngeren, aber genauso betrunkenen Begleiterin nahm.
Hubertus stürmte zur Bühne und stieß sie alle weg: die Robin Hoods, Captain Kirks und die Frankensteins oder was immer diese Gestalten auch darstellten. Als er fast zur Mitte des Menschenauflaufs vorgedrungen war, sah er schon den breiten Rücken von Didi, der sich über eine bleiche Martina gebeugt hatte.
»Sanitäter!«, brüllte Hubertus. Schon knieten sich zwei junge Männer in orangefarbenen Jacken neben ihn hin.
Immer wieder stieß Martina Ächzer aus. Hubertus schauderte es. Martina würde doch nicht jetzt etwa ihr Kind bekommen? Vier Wochen zu früh und vor all diesen Leuten?
Bitte nicht!
Hubertus verfolgte die Bewegungen der Sanitäter. Der eine fächerte seiner Tochter gerade mit der Speisen- und Getränkekarte Luft zu. Gut so!
Doch was machte der andere? Der streichelte ihr den Bauch!
»He, Sie!«, brüllte Hubertus den Sanitäter an. »Was machen Sie denn mit meiner Tochter? Sie haben Ihre Sanitätsausbildung wohl beim Sommerfest der Narrozunft gewonnen?«
Der Sanitäter sah ihn nur mit glasigen Augen an. Auch das noch! Betrunken im Dienst!
»Ich werde dafür sorgen, dass Sie diese Jacke nicht mehr lange tragen«, raunzte ihn Hubertus an. Er wusste nicht erst seit seiner Zivildienstzeit bei den Maltesern, dass dies disziplinarische Maßnahmen nach sich ziehen musste.
Der Mann zeigte sich jedoch keineswegs beeindruckt. »He, he«, lallte er und streichelte nun Hubertus über den Bauch. »Am Aschermittwoch ist eh alles vorbei!«
Nun mischte sich Didi ein: »Diese beiden Idioten sind nicht echt«, erklärte er. »Das ist doch nur eine Verkleidung.« Er beugte sich wieder über Martina, die immer noch am Boden lag und die Augen geschlossen hatte.
3. SÄBELTANZ
Berta Gremmelsbacher schnaufte schwer. Siebenundsiebzig Kilo, verteilt auf einen Meter zweiundsechzig Körpergröße, dazu noch der von Schneematsch bedeckte Gehweg – das war zu viel für sie und ihre Einkaufstasche. Nur langsam kam sie voran, denn die Laternen funzelten matt. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich bald in der Brigach wiederfinden, die neben der Straße still vor sich hin gluckerte. Und ein Bad in dem eisigen Bach würde sie in ihrem Alter und bei dieser Jahreszeit wohl kaum überleben.
Dabei waren es nur noch wenige Meter bis zum Haus von Heinrich Berger in der Mönchweiler Straße, dessen Haushälterin sie war. Gevatter Tod würde warten müssen.
War ja auch gut so, denn schließlich stand die Fasnet vor der Tür. Berta Gremmelsbacher war eine alte, traditionsbewusste Villingerin. Und sah man mal von der Weihnachtszeit ab, wenn die beiden Töchter aus München und Heidelberg und die insgesamt fünf Enkel zu Besuch kamen, war das ganze Jahr über nicht viel los bei ihr.
Ihr einziger Sohn Robert wohnte zwar gerade mal sechzig Kilometer entfernt in der Nähe von Freiburg, ließ sich aber nur selten bei ihr blicken. Wahrscheinlich hatte sie ihm in letzter Zeit zu viele Vorwürfe gemacht, weil er arbeitslos war.
Schon bevor sie in die Einfahrt des Anwesens trat, sah sie, dass der Hausherr offenbar weniger sparen musste als manch anderer. Das zweistöckige Haus war hell erleuchtet – sogar im Keller brannte Licht. Die alte Jugendstilvilla protzte nicht mit Reichtum, aber man merkte schon, dass der alte Berger seinem Junior nicht nur ein solides Baugeschäft mit zwanzig Angestellten, sondern auch die eine oder andere Mark auf dem Konto vererbt hatte. Berta Gremmelsbacher rechnete noch immer in Mark.
Und der Heinrich Berger war für sie immer noch der »Junior«, weil sie ihn schon viele Jahrzehnte kannte. Nächstes Jahr würde er seinen 65. Geburtstag groß feiern, bei ihr hingegen stand der 70. an, den sie in kleinerem Kreise begehen würde.
Berta Gremmelsbacher streifte sorgfältig die Schuhe an der Fußmatte ab, öffnete mit ihrem Schlüssel die Haustür und rief: »Herr Berger, i bin’s – wie immer um die Ziet.« Pünktlich wie jeden Abend schaute sie um Viertel nach sieben nach dem
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