Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
Rechten.
So hell erleuchtet das Haus war, so still war es drinnen. »Herr Berger! I bring nu’s Esse fürs Woche’end.«
Immer noch Stille.
Berger bewohnte das Haus allein – meistens jedenfalls. Seit er sich von seiner Gattin getrennt hatte, war nur bisweilen eine Mitbewohnerin eingezogen. Genaueres wusste Berta Gremmelsbacher aber nicht – und zu fragen verbot ihr die Loyalität gegenüber ihrem Hausherrn. Sie fragte allenfalls, ob sie für mehrere Personen einkaufen oder das Bett für eine oder für zwei Personen herrichten sollte.
Um ihre Rolle musste sie nicht fürchten: Die deutlich jüngeren Partnerinnen ihres Arbeitgebers machten nicht den Eindruck, als wollten sie ihr den Rang der Küchenchefin streitig machen. Auch seine aktuelle Freundin nicht – eine Blondine, mit der er es aber ernst zu meinen schien und mit der es schon deutlich länger ging als mit ihren Vorgängerinnen. Berta Gremmelsbacher hatte vor Kurzem beim Aufräumen sogar einen Prospekt gefunden, in dem teure Hochzeitsreisen angeboten wurden.
Das bereitete ihr allerdings schon Sorgen. Wieder eine Frau fest im Haus … Bergers Scheidung lag erst ein Jahr zurück. Auch wenn sie schon fast zehn Jahre getrennt gewesen waren, hatte die Blondine wohl darauf gedrängt, weil sie nicht mit einem formell noch verheirateten Mann zusammenleben wollte.
Berta Gremmelsbacher ging in die Küche, legte Gemüse und Käse in den großen Kühlschrank und holte vorsichtig zwei Tupperschüsseln aus dem Einkaufskorb, in denen sich die Samstagsmahlzeit für Berger befand: gekochter Schinken in der einen, Kartoffelbrei und Schwarzwurzeln als Beilagen in der anderen Schüssel.
»Herr Berger?«, rief sie nochmals.
Sie überlegte, ob sie wieder gehen sollte, doch dann hörte sie ein Geräusch aus dem Keller. »Herr Berger?«
Langsam ging sie die Treppe hinunter. Musik dröhnte durch den weitläufigen Treppenaufgang: »Ta-taaa-ta-ta-ta-ta-ta-tataaaa-ta-ta-taaaa …« Ein Marsch. Natürlich. Der Villinger Narromarsch. Das passte zu den Bildern an den Wänden, die Impressionen aus etwa hundert Jahren Villinger Fasnetgeschichte zeigten. Die darauf abgebildeten Narrofiguren unterschieden sich im Lauf der Jahre kaum, während an den Häuserfassaden im Hintergrund der Wandel der Zeit allerdings nicht zu übersehen war. Während auf den alten Bildern mal das Hotel Blume Post, mal der Schreibwarenladen Singer, Eisen Werner oder Görlacher zu erkennen waren, bildeten auf den neuesten Farbbildern fast nur noch Schnäppchenläden, Modegeschäfte und Telekommunikationsshops den Hintergrund.
Auf einem Foto sah man eine Vierergruppe, die vor Bergers Baugeschäft posierte. Zwei Narros mit ihren Morbili, einer der weiblichen Fasnetfiguren.
»Herr Berger, i bin’s, d’ Berta«, rief die Haushälterin, so laut sie konnte.
Plötzlich verstummte die Musik.
»Herr Berger?«
Keine Antwort, keine Spur vom Hausherrn.
Als sie am Hobbyraum vorbeikam, schnellte Berta Gremmelsbacher ein Säbel entgegen.
»Um Gott’s wille«, entfuhr es ihr.
An der Tapete zeichneten sich die Umrisse einer großen, massigen Gestalt ab. Berta Gremmelsbacher spürte, wie ihr abwechselnd heiß und kalt wurde.
»Huhuhu«, klang es dumpf.
Berta Gremmelsbacher atmete dreimal tief durch. Fast glaubte sie, ihr letztes Stündlein hätte nun tatsächlich geschlagen. Doch vor ihr stand der Herr des Hauses – vielmehr: ein Narro. Berger war seit vielen Jahrzehnten in der Narrozunft aktiv. Und es war Tradition, dass man kurz vor den tollen Tagen das Häs überprüfte, mitsamt der Rollen und der Scheme. Die vermeintliche Waffe, mit der Berger vor ihrer Nase herumgefuchtelt hatte, war zum Glück nur ein handgeschnitzter Narrosäbel aus Holz.
»Jo, Mäschgerle, isch dei Tochter immer no z’Heidelberg?«, fragte der Narro und machte dann im Kellerflur den Narrosprung zur Musik.
Berta Gremmelsbacher hatte sich wieder beruhigt. »Jo, aber am Schmotzige Dunnschtig kunnt se viellicht mit de Enkelin, Herr Berger … äh … Narro.«
Ein eisernes Gesetz der Villinger Fasnet besagte, dass man den Narro, während er seine Scheme aufhatte, nie mit dem bürgerlichen Namen ansprach. Sofern man ihn überhaupt einmal erkannte.
Der Narro schritt wieder majestätisch durch den Kellerflur, sprang und breitete das Foulard aus, ein seidenes Tuch. Dann setzte er ab.
»Woasch, Mäschgerle, in ä paar Johr wer’e mir die Rolle z’schwer si«, fuhr er fort. »Manchmol beneidet mer fascht di andere Zünft – de
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