Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
diesem Tisch würde heute Abend nicht besonders gut sein.
»Guten Abend, Herr Hummel … oh … ähm … Hallo, Elke. Wie geht’s?«, stotterte Bröse. Ihm schien die Begegnung ebenfalls peinlich zu sein. Zumal neben ihm eine schätzungsweise zwanzigjährige Blondine mit tief ausgeschnittenem Dekolleté saß, die ihre Arme um den Hals des Rechtsanwalts geschlungen hatte. Der war immerhin auch schon Anfang fünfzig.
Hubertus sah seine Chance und ging in die Offensive: »Herr Bröse, ich wusste gar nicht, dass Sie schon eine so große Tochter haben! Oder ist das gar das Fräulein Enkelin?«
Wäre Hummel nicht als Frau verkleidet gewesen – der Auftritt wäre ihm noch leichter gefallen. Seine Bemerkung wirkte aber auch so …
»Das ist nicht … äh … meine Tochter«, murmelte Bröse ziemlich verlegen. »Das ist meine … ähm … Lebensabschnittsgefährtin Susi.« Peinlich berührt stellte er seiner Susi die Familie Hummel vor. Schließlich würde man wohl oder übel noch einige Stunden miteinander verbringen müssen.
»So, so, Ihre Lebensabschnittsgefährtin«, wiederholte Hummel genüsslich und so laut, dass die Leute an den Nebentischen ihre Unterhaltungen für einen Moment unterbrachen und zu Bröse hinüberstarrten. Endlich hatte Hummel ein Ventil für seine Aggressionen.
Mit einem Begriff wie Lebensabschnittsgefährtin konnte er einfach nichts anfangen. Wahrscheinlich hatte Bröse auch mal seine Frau mit diesem komischen Wort bedacht. Offenbar wollte niemand mehr Bindungen von Dauer eingehen. Für Hummel war so etwas undenkbar. Zwar hatte er vor allem während seiner Studienzeit in Freiburg mit linkem Wortschatz geglänzt, im Grunde seines Herzens war er aber ein konservativer Schwarzwälder.
Wenigstens wurde die steife Unterhaltung durch ein Geräusch unterbrochen, das für Hubertus – mal abgesehen von Elkes Stimme natürlich – der schönste Ton der Welt war. Sein Pulsschlag erhöhte sich, sein gerade noch grimmiges Gesicht bekam einen sanften, fast entrückten Ausdruck.
Es war ein Geräusch, das eigentlich unbeschreiblich war. War es ein Klingen, ein Läuten oder Bimmeln? Hubertus hatte oft darüber nachgedacht. Es stammte von den kugelförmigen Bronzeglocken, den »Rollen«, die – an Lederriemen befestigt – über den Schultern der Narros hingen. Eine Gruppe Hästräger zog, angeführt von der Stadt- und Bürgerwehrmusik sowie den Ratsherren, in den Saal ein und brachte die Rollen durch den Narrosprung in Bewegung.
Unter dem Tisch machte Hubertus den Sprung mit. Er war wie in Trance.
Das Programm des Zunftballs war durchaus amüsant. Die Sketche, Tänze, Lieder und durchaus auch gehässigen Anspielungen in Richtung Rathausspitze sorgten in den nächsten zweieinhalb Stunden für Stimmung im Saal und vor allem dafür, dass sich eine weitere Unterhaltung mit Bröse erübrigte.
Abgesehen davon hatte der ohnehin mehr Augen für das Dekolleté seiner Begleitung als für die Akteure der Narrozunft. Nein, der Herr Rechtsanwalt gab keine souveräne Figur ab. Midlife-Crisis, diagnostizierte Hummel. Das würde ihm selbst nicht passieren. Ich, dachte Hummel und schaute sich versonnen ins eigene Dekolleté, habe schon etwas mehr moralische Standfestigkeit als dieser Windbeutel.
Als der Tanz im Foyer eröffnet wurde und Bröse gerade einen erneuten Plauderversuch über den schneereichen Winter unternahm, sagte Hummel zu Elke: »Schatz, das ist doch unser Lied. Komm, lass uns tanzen!«
Elke war darüber so verdutzt, dass sie kein Wort herausbrachte. Erstens war der »Zillertaler Hochzeitsmarsch« ganz sicher nicht ihr Lied. Vor allem aber hatte Hubertus sie noch nie freiwillig zum Tanzen aufgefordert. In ihrem Bekanntenkreis war er gar als Tanzmuffel berüchtigt. Dennoch wagte sie nicht zu widersprechen und ließ sich auf die Tanzfläche ziehen.
Didi, der nach dem Programm sofort zu Martina geeilt war und sich vor Schulterklopfern kaum retten konnte, hatte sich seine schwangere Freundin geschnappt.
Hubertus setzte wieder einen besorgten Blick auf. In diesem Zustand tanzen? Dem Enkel würde es bei diesem Gewackel sicher ganz schön übel werden. Er versuchte die Tanzdrehungen immer so zu steuern, dass er Martina und Didi im Auge behalten konnte.
Während der langhaarige Sänger der Band den Stimmungsklassiker »Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt« anstimmte, steuerte Hubertus mit Elke die Bar an. Seine Ohren standen kurz vor der Kapitulation.
Doch dann verstummte die Musik
Weitere Kostenlose Bücher