Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
barscher, als es eigentlich bei ihm üblich war.
»Ein Toter«, kam es aus der Muschel. Dem Ernst der Lage angemessen hatte Winterhalter sogar ins Hochdeutsche gewechselt.
»O nein – nicht jetzt«, sagte Müller, ehe ihm klar wurde, dass seine Sorgen im Vergleich zu denen der Familie des Opfers vermutlich kleiner waren. Also fügte er weniger aufgebracht hinzu: »Wo?«
»In Schwenninge, beim Narrenbrunne«, meldete Hauptkommissar Winterhalter.
Er wirkte frisch. Kein Wunder, ging es Müller durch den Kopf, als Nebenerwerbslandwirt kam sein Mitarbeiter nicht nur mit deutlich weniger Schlaf aus, sondern war auch körperlich topfit. Zumindest im Vergleich zu Müller. Sein Sodbrennen meldete sich wieder, als er abermals fragte: »Wo?«
»Beim Narrenbrunnen. Am Hexenzipfel … äh, also eigentlich am Hockenplatz. Schwenninger Innenstadt. Wahrscheinlich Mord. Und stelle Se sich vor: De Dote isch en Narro – also en Villinger Narro.«
»Ich komme«, seufzte Müller beinahe tonlos und legte auf.
Dann knöpfte er seinen gestreiften Pyjama auf und zog sich an. Seine Frau erklärte ihm, er könne sich mit dem Restalkohol vom Vorabend auf gar keinen Fall hinters Steuer setzen. »In der Fasnetzeit kontrolliert die Polizei wie wild, Stefan«, befürchtete sie. »Das weißt du doch.«
Müllers Antwort war ein Knurren.
Die Fahrt durch das nächtliche Rottweil, an Deißlingen und dem Schwenninger Flugplatz vorbei, dauerte im 3er-BMW bei dem geringen Verkehrsaufkommen gerade mal zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten, in denen Müller Zeit hatte, richtig aufzuwachen und sich Gedanken über das zu machen, was ihn jetzt wohl gleich erwartete. Ein toter Villinger Narro – und zwar in Schwenningen …
In jüngster Vergangenheit hatten manche schon gefordert, die Städte-Ehe zwischen Villingen und Schwenningen wieder rückgängig zu machen. Nicht wegen des umständlichen Namens, der nach Müllers Meinung schon Grund genug gewesen wäre. Nein, das katholisch, kleinbürgerlich und badisch geprägte Villingen und die eher protestantische und vor allem württembergische Arbeiterstadt Schwenningen ähnelten sich nur von der Größe her. In den gut vierzig Jahren seit dem Zusammenschluss hatten die Politiker zwar alles Mögliche versucht, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Doch was bei den Studenten und den neu Hinzugezogenen fruchtete, die »VS« annähernd als vereinigte Stadt betrachteten, blieb bei den Alteingesessenen vergebliche Liebesmüh. Für die blieb ein Villinger ein Villinger und ein Schwenninger ein Schwenninger. Und die Fasnet war nun einmal das Hauptbetätigungsfeld der Alteingesessenen …
Müller seufzte, jedoch nicht, weil er in diesem Konflikt Stellung beziehen wollte: Es war sein Sodbrennen, das ihn wieder quälte. Kurz darauf war er in der Schwenninger Innenstadt, wo sein mangelnder Orientierungssinn zum Tragen kam, der auch seine Frau bei Urlaubsreisen regelmäßig zur Verzweiflung brachte.
Da vorne war doch der mitten in der Nacht verlassen daliegende Einkaufstempel City-Rondell – aber wo um Himmels willen befand sich denn nun dieser Narrenbrunnen?
Endlich sah er das Blaulicht von zwei Streifenwagen.
Alle waren sie schon da. Hauptkommissar Winterhalter, der als Chef der Spurensicherung glänzte, Oberkommissar Brüderle, ein emsiger und in Müllers Augen etwas zu karrierebewusster Kriminalbeamter, der Polizeiarzt und zwei Streifenpolizisten. Außerdem ein zitternder älterer Mann – ganz offenbar ein Zeitungsausträger, wie man an den Satteltaschen seines Fahrrades erkennen konnte, auf denen das Logo des Schwarzwälder Kuriers prangte.
Der Tote war ein Narro, wie man sie zu Tausenden während der Fasnettage in Villingen bewundern konnte. Die Gestalt lag am Narrenbrunnen aus Muschelkalk – ausgerechnet unter der Figur des Schwenninger Hansels. Das Blaulicht des Streifenwagens leuchtete den Brunnen an: Hölzlekönig, Schantle, Mooshexe und Moosmulle – ebenfalls Figuren der Schwenninger Fasnet – spien, vom Verbrechen gänzlich unbeeindruckt, weiter Wasser in den Trog.
Der Tote mochte Mitte sechzig sein – eigentlich ein stattlicher Narro. Die Scheme baumelte an einer Schnur neben seinem Gesicht. Auf dem Brunnen konnte Müller den Spruch lesen: »Hettischt’s Muul mit Wasser gribba, noo wär d’r s’Geld im Beitl bliiba.«
»Am Aschermittwoch waschen die Schwenninger Narren hier traditionell immer ihre Geldbeutel. Symbolisch, weil die Fasnet ein teurer Spaß ist«, erläuterte
Weitere Kostenlose Bücher