Narrenturm - Roman
die Nieren und stürzte zu Boden. Als man begann, ihn zu treten, rollte er sich ein und versuchte, Kopf und Leib zu schützen.
»Halt! Genug! Hört sofort auf!«
Die Schläge und Tritte hörten auf. Reynevan öffnete ein Auge. Die Erlösung kam von völlig unerwarteter Seite. Seine Peiniger hielt eine drohende, harte, unangenehme Stimme zurück, der Befehl einer klapperdürren, nicht mehr jungen Frau in einem schwarzen Kleid mit weißem Gebende unter der steifen gestärkten Haube. Reynevan wusste, wer das war. Euphemia, die ältere Schwester des Herzogs Johann, die Witwe Friedrichs, des Grafen zu Oettingen, die nach demTode ihres Mannes in ihr heimatliches Münsterberg zurückgekehrt war.
»In dem Europa, das ich kenne«, sagte Gräfin Euphemia, »tritt man keinen, der am Boden liegt. Keiner der mir bekannten europäischen Fürsten würde dies gestatten, mein Herr Bruder.«
»Er hat gefehlt«, setzte Herzog Johann an, »daher habe ich . . .«
»Ich weiß, worin er gefehlt hat«, unterbrach ihn die Gräfin schroff. »Ich habe es gehört. Hiermit stelle ich ihn unter meinen Schutz.
Mercy des dames.
Denn ich kenne, so schmeichle ich mir, die europäischen Turnierbräuche nicht weniger als die hier anwesende Gemahlin des Ritters von Sterz.«
Die letzten Worte wurden mit so viel Nachdruck und derart giftig ausgesprochen, dass Herzog Johann den Blick senkte und bis tief in seinen ausrasierten Nacken errötete. Adele senkte den Blick nicht, in ihrem Gesicht hätte man vergeblich eine Spur von Schamröte gesucht, aber der Hass, der aus ihren Augen sprang, hätte jeden erschreckt. Nicht so die Gräfin Euphemia. Sie hatte sich, wie die Kunde ging, in Schwaben überaus schnell und überaus geschickt der Geliebten des Grafen Friedrich anzunehmen gewusst. Nicht sie fürchtete sich, sie wurde gefürchtet.
»Herr Marschall Borschnitz«, sie nickte gebieterisch, »nehmt Reinmar von Bielau in Arrest. Ihr haftet mir für ihn. Mit Eurem Kopf.«
»Zu Befehl.«
»Gemach, Frau Schwester, gemach.« Johann von Münsterberg hatte seine Sprache wiedergefunden. »Ich weiß, was
mercy des dames
bedeutet, aber hier geht es um eine ernste Sache. Zu schwer wiegen die Vorwürfe gegen diesen jungen Mann. Mord, schwarze Magie . . .«
»Er wird sich im Arrest befinden«, schnitt Euphemia ihm das Wort ab. »Im Turm. Unter Bewachung des Herrn Borschnitz. Er wird sich dem Gericht stellen. Wenn ihn jemand anklagt. Und damit meine ich eine gerechtfertigte Anklage.«
»Ach«, der Herzog winkte ab und warf die
liripipe
schwungvoll auf den Rücken, »zum Teufel mit ihm. Lasst uns fortfahren, Ihr Herren, gleich beginnt der Buhurt. Ich werde mir doch das Turnier nicht verderben lassen! Gestatte, Adele. Bevor der Kampf beginnt, müssen die Ritter auf der Tribüne die Königin der Schönheit und der Liebe sehen.«
Die Burgunderin ergriff den ihr dargebotenen Arm und hob ihre Schleppe an. Der von den Knappen gefesselte Reynevan heftete seinen Blick auf sie, hoffte, dass sie sich umsah, dass sie ihm mit den Augen oder mit der Hand ein Signal, ein Zeichen geben würde. Dass alles nur eine List, ein Spiel, eine Finte sei, dass in Wirklichkeit alles so sei, wie es gewesen war, dass sich zwischen ihnen nichts verändert hatte. Er wartete bis zum letzten Moment auf ein solches Zeichen.
Vergeblich.
Als Letzte verließen diejenigen das Zelt, die die ganze Szene, wenn nicht mit Zorn, doch zumindest mit Abscheu verfolgt hatten. Der grauhaarige Hermann Zettritz. Der Starost von Glatz, Puta von Czastolovice, und Gottsche Schaff, beide mit ihren Gemahlinnen, beide mit ausladenden, durchbrochenen Hennins, Lothar Gersdorf aus der Lausitz, die Stirn in Falten. Und Bolko Wołoszek, Sohn des Herzogs von Oppeln, Herr von Neustadt Oberglogau. Besonders Letzterer hatte, bevor er ging, den Zwischenfall interessiert und mit Augenblinzeln verfolgt.
Die Fanfaren erklangen, die Menge brach in laute Ovationen aus, der Herold rief sein
laissez aller
und
aux honneurs
. Der Buhurt begann.
»Gehen wir«, befahl der Waffenknecht, den Marschall Borschnitz beauftragt hatte, Reynevan zu verhaften. »Leiste keinen Widerstand, mein Junge.«
»Das tue ich nicht. Wie ist denn der Turm hier bei euch?«
»Zum ersten Mal? Ha, ich sehe es ja, es ist das erste Mal. Anständig, für einen Turm.«
»Dann lass uns gehen.«
Reynevan bemühte sich, sich nicht umzusehen, um in seinergroßen Erregung Scharley und Samson nicht zu verraten; er wusste, dass sie, in der Menge verborgen, ihn
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