Narrenturm - Roman
sie mit Gewalt von ihrem Spiel fortgerissen. Das Spiel bestand darin, flache Steine in frische Kuhfladen zu werfen, und dank seiner fröhlichen Nichtigkeit war es in letzter Zeit bei Ofkas Spielgefährten, hauptsächlich Nachkommen der Burgwachen und des Gesindes, in Mode. Das von ihrem Spiel hinweggerissene Mädchen quengelte, bockte und versuchte, der Hausmeisterin ihre Aufgabe so schwer wie möglich zu machen. Aus Bosheit machte sie ganz kleine Schritte, so dass die Hausmeisterin sie fast hinter sich herziehen musste. Mit bösem Fauchen reagierte sie auf alle Ermahnungen und auf alles, was die Hausmeisterin ihr sagte. Das ging sie einen feuchten Kehricht an. Sie hatte genug davon, Großvater Tammos Reden zu übersetzen, denn in Großvaters Kammer stank es, und Großvater selbst stank auch. Es ging sie einen feuchten Kehricht an, dass Oheim Apecz nach Sterzendorf gekommen war, und dass Oheim Apecz dem Großvater außerordentlich wichtige Nachrichten brachte, die er gerade übermittelte, und wenn er fertig war, hätte Großvater Tammo, wie immer, viel zu sagen, und außer ihr, dem wohlgeborenen Fräulein Ofka, würde keiner etwas verstehen, was der Großvater spräche.
Dem wohlgeborenen Fräulein Ofka ging das alles am Arsch vorbei. Sie hatte nur einen Wunsch: zum Burgwall zurückzukehren und flache Steine in die Kuhfladen zu schmeißen.
Schon auf der Treppe hörte sie die Laute, die aus GroßvatersKammer drangen. Die Nachrichten, die Oheim Apecz brachte, mussten tatsächlich schlecht, ja ziemlich schlimm sein, denn Ofka hatte ihren Großvater noch nie derart schreien hören. Niemals. Nicht einmal, als er erfuhr, dass sich der beste Hengst der Herde mit etwas vergiftet hatte und eingegangen war.
»Wuaahha-wuaha-buhhauahhu-uuuaaha!«, drang es aus der Kammer. »Hrrrrhyr-hhhyh . . . Uaarr-raaah! O-o-oooo . . .«
Dann ertönte es: »Bzppprrr . . . Ppppprrrruuu . . .«
Dann herrschte plötzlich Stille.
Kurz darauf trat Oheim Apecz aus der Kammer. Lange blickte er Ofka an. Noch länger aber die Hausmeisterin.
»Bereitet bitte Speisen in der Küche vor«, sagte er schließlich. »Lüftet die Kammer aus. Und ruft den Priester. In dieser Reihenfolge. Weitere Befehle werde ich erteilen, wenn ich gegessen habe.« Und dann, als er in den Augen der Hausmeisterin las, dass sie wusste, was geschehen war, setzte er hinzu: »Vieles wird sich jetzt hier ändern.«
Einundzwanzigstes Kapitel
in dem der rote Goliarde und ein schwarzer Wagen erneut auftauchen, und auf dem Wagen fünfhundert Gulden und noch etwas darüber. Und all das nur, weil Reynevan wieder einem Weiberrock hinterherrennt.
U m die Mittagszeit versperrte ihm ein Windbruch den Weg, eine riesige lang gestreckte Wand aus abgebrochenen Ästen und umgestürzten Stämmen, die wie aufgereiht hintereinander lagen. Das Wehr aus geborstenen Hölzern, das Durcheinander aus in sich verhedderten Ästen, das Chaos der qualvoll aus dem Waldboden gerissenen Wurzeln und das Labyrinth des vom Sturm entwurzelten Waldes waren ein Abbild seiner Seele und zwangen ihn nicht nur dazu anzuhalten, sondern auch nachzudenken.
Nach seinem Abschied von Bolko Wołoszek war Reynevan völlig apathisch nach Süden geritten, dorthin, wo der Wind große Ballen dunkler Wolken vor sich herjagte. Er wusste selbst nicht, warum er diese Richtung eingeschlagen hatte. Vielleicht deshalb, weil Wołoszek beim Abschied dorthin gedeutet hatte? Vielleicht hatte er auch nur rein instinktiv den Weg gewählt, der ihn von dem Ort und von den Vorkommnissen dort wegführte, die in ihm Angst und Abscheu erweckt hatten? Weg von den Sterz’, von Striegau und Herrn von Laasen, Hayn von Czirne, der Schweidnitzer Inquisition, Schloss Stolz, Münsterberg, Herzog Johann . . .
Und Adele.
Der Wind trieb die Wolken so tief vor sich her, dass es schien, als berührten sie die Wipfel der Bäume hinter dem Windbruch. Reynevan seufzte.
Ach, wie weh taten doch die unerbittlichen Worte Bolkos, wie sehr schnitten sie ins Herz und in die Eingeweide! In Münsterberg hatte er nichts mehr zu suchen! Beim Leiden Christi! Diese Worte waren so gnadenlos ehrlich, so aufrichtig, dass sie vielleicht deshalb noch mehr schmerzten als Adeles kalter und gleichgültiger Blick, stärker als ihre harte Stimme, mit der sie die Ritter so grausam gegen ihn aufgebracht hatte, heftiger als die Schläge, die daraufhin auf ihn niedergeprasselt waren, schlimmer als das Gefängnis . . . In Münsterberg hatte er nichts mehr zu suchen. In Münsterberg,
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