Narrenturm - Roman
fluchte gotteslästerlich. Notker Weyrach brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er blickte den Demeriten vielsagend an.
»Sprecht, Scharley. Was habt Ihr herausgefunden? Was wisst Ihr?«
»Einen Anteil an der Beute habt Ihr uns nicht zusprechen wollen, Ihr Herren.« Scharley hob stolz den Kopf. »Dann macht jetzt auch keinen Fährtenleser aus mir. Was ich weiß, das weiß ich. Das ist meine Sache.«
»Haltet mich fest . . .«, brüllte Buko wütend, aber Weyrach hielt ihn erneut zurück.
»Bis vor kurzem«, sagte er, »haben Euch weder der Steuereinnehmer noch sein Geld interessiert. Und plötzlich wollt Ihr einen Anteil an der Beute. Da muss sich etwas geändert haben. Ich bin nur neugierig, was?«
»Eine ganze Menge, denn jetzt stammt die Beute, wenn wir sie mit etwas Glück zu fassen kriegen, nicht mehr aus einem Überfall auf den Steuereinnehmer. Jetzt handelt es sich eher um eine Rückgewinnungsmaßnahme, das Plündern eines Plünderers. Daran beteilige ich mich gern, denn ich halte es durchaus für moralisch, einem Räuber sein zusammengerafftes Gut wieder abzunehmen.«
»Drückt Euch verständlicher aus.«
»Verständlicher geht’s nicht«, meinte Tassilo de Tresckow. »Es ist doch alles klar.«
Der tief im Wald verborgen gelegene und von Moorland umgebene kleine See löste trotz aller Schönheit ein unbestimmtes Gefühl der Unruhe, ja sogar der Furcht, aus. Seine Oberfläche erschien wie Teer – genauso dunkel und hart, genauso starr, genauso tot, ohne Spuren von Leben, ohne jede Regung. Obwohl sich die Wipfel der Fichten, die sich im Wasser spiegelten, im Wind leicht bewegten, beeinträchtigte auch nicht die leiseste Welle die glatte Ebenmäßigkeit der Wasserfläche. In dem von Braunalgen durchzogenen, zähflüssigen Wasser bewegten sichnur die kleinen Gasbläschen, die aus der Tiefe emporstiegen, langsam auseinander trieben und schließlich an der öligen, von Wasserlinsen bedeckten Oberfläche platzten, aus der vertrocknete Äste wie Totenhände herausragten.
Reynevan erschauderte. Er ahnte, was der Demerit entdeckt hatte. Dort liegen sie, dachte er, da unten, in der Tiefe, im Schlamm, auf dem Grunde dieses schwarzen Molochs. Der Steuereinnehmer. Tybald Raabe. Die pickelübersäte Tochter von Stietencron mit den gezupften Brauen. Und wer noch?
»Schaut her«, befahl Scharley. »Hierher.«
Der Moorboden gab unter ihren Füßen nach, Wasser drang aus dem schwammigen Moosteppich.
»Hier hat jemand versucht, die Spuren zu verwischen«, erklärte der Demerit, »aber man sieht trotzdem ganz genau, wo die Leichen entlanggezogen wurden. Hier auf den Blättern ist Blut. Hier auch. Und hier. Überall Blut.«
»Das heißt . . .«, Weyrach rieb sich das Kinn, »jemand hat . . .«
»Jemand hat den Steuereinnehmer überfallen«, beendete Scharley ruhig den Satz. »Hat ihn und seine Eskorte ausgelöscht. Und die Leichen hier im Teich versenkt, beschwert mit Steinen von der Feuerstelle. Es hätte genügt, wenn ihr euch die Feuerstelle aufmerksamer angesehen hättet . . .«
»Schon gut, schon gut«, unterbrach ihn Buko. »Und das Geld? Was ist mit dem Geld? Heißt das . . .«
»Das heißt«, Scharley blickte ihn mit spöttischer Duldsamkeit an, »genau das, was Ihr denkt. Vorausgesetzt, Ihr denkt.«
»Dass das Geld geraubt ist?«
»Bravo!«
Buko schwieg eine Zeit lang, wobei er immer röter wurde.
»Scheiße!«, brüllte er schließlich. »Und du, Gott! Du siehst das und lässt den Blitz nicht dreinfahren? So weit ist es schon gekommen! Die Sitten sind verderbt, die Tugend ist dahin, die Ehrlichkeit hinüber. Scheiße! Alles, alles rauben, plündern und stehlen sie! Ein Dieb jagt den anderen und der einen Dritten! Betrüger! Diebe! Gauner!«
»Schufte, beim Kessel der heiligen Cäcilie, Schufte!«, echote Kuno Wittram. »Und du, Christus, du schickst keine Plagen auf sie herab!«
»Nicht einmal das, was heilig ist, achten diese Hurensöhne!«, schrie Rymbaba. »Die paar Kröten, die der Steuereinnehmer mit sich führte, waren doch für einen frommen Zweck!«
»Das ist wahr. Für den Krieg gegen die Hussiten hat der Bischof gesammelt . . .«
»Wenn das so ist«, stammelte Woldan von Nossen, »dann ist das vielleicht ein Werk des Teufels? Der Teufel hält es doch mit den Hussiten . . . Die Häretiker haben die schwarze Macht zu Hilfe rufen können . . . Vielleicht hat der Teufel auch von sich aus eingegriffen, um dem Bischof zu schaden . . . Allmächtiger! Ich sage euch, der
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