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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Hussiten zu erleben.
    Reynevan rannte so schnell es ging, keuchend und ohne sich umzusehen. Der Nebel verschluckte die Geräusche, aber er hörte den Hufschlag und das Wiehern des Pferdes immer noch hinter sich   – oder wenigstens schien es ihm so, als höre er es.
    Plötzlich hörte er dicht vor sich Hufschlag und Schnauben. Er blieb unvermittelt stehen, starr vor Angst, aber bevor er noch etwas tun konnte, tauchte eine schweißnasse Apfelschimmelstute aus dem Nebel auf, die auf ihrem Rücken eine nicht sehr große, stämmige Frau in einem Männerwams trug. Bei seinem Anblick hielt die Frau die Stute an und strich eine wild flatternde helle Haarsträhne aus der Stirn.
    »Frau Dzierżka. . .«, stammelte er verwundert. »Dzierżka de Wirsing!«
    »Mein Verwandter?« Die Pferdehändlerin blickte nicht weniger erstaunt drein. »Du? Hier? Verdammt, steh nicht herum! Gib mir die Hand, spring hinter mir auf!«
    Er ergriff ihre ausgestreckte Hand. Aber es war schon zu spät.
    »Adsuuumuuus!«
    Dzierżka sprang mit einer angesichts ihrer Leibesfülle überraschenden Grazie und Gewandtheit aus dem Sattel. Ebenso geschickt riss sie sich die Armbrust vom Rücken und warf sie Reynevan zu. Sie selbst ergriff eine zweite, die am Sattel befestigt war.
    »Aufs Pferd!«, schrie sie, während sie ihm die Bolzen und die Geißfuß genannte Spannhilfe zuwarf. »Ziel aufs Pferd!«
    Der schwarze Ritter preschte mit erhobenem Schwert und mit wehendem Mantel auf sie zu, in einem solch wilden Galopp, dass Grasbrocken in die Luft flogen. Reynevan zitterten die Hände, die Krappen für den Geißfuß wollten um nichts in der Welt hinter der Sehne und dem Zapfen der Bolzenauflage einrasten. Er stieß einen verzweifelten Fluch aus, das half, die Krappen rasteten ein, die Sehne fuhr ins Schloss. Die zitternde Hand legte den Bolzen ein.
    »Schieß!«
    Er schoss. Und verfehlte. Denn den Befehl missachtend, hatte er nicht auf das Pferd, sondern auf den Reiter gezielt. Er sah, wie die Spitze des Bolzens funkensprühend den stählernen Armschutz streifte. Dzierżka fluchte derb und gotteslästerlich, blies sich die Haare aus den Augen, zielte und drückte ab. Der Bolzen traf das Pferd in die Brust und verschwand völlig darin. Das Pferd schrie auf, schnaubte, ging in die Knie und stürzte auf den Kopf. Der schwarze Ritter fiel aus dem Sattel, überschlug sich, verlor seinen Helm und sein Schwert. Und versuchte, sich zu erheben.
    Dzierżka fluchte erneut, jetzt zitterten beiden die Hände, beiden rutschten die Geißfüße wieder und wieder aus den Krappen, die Bolzen fielen aus der Auflage. Der schwarze Ritter war aufgestanden, hatte einen riesigen Morgenstern vom Sattel genommen und näherte sich ihnen mit schwankenden Schritten. Beim Anblick seines Gesichts unterdrückte Reynevan einen Schrei und presste den Mund gegen das Schloss. Das Gesicht des Ritters war weiß, silbrig fast, wie bei einem Leprakranken. Die von bläulichroten Ringen unterlaufenen Augenblickten wild und geistesabwesend, zwischen den geifernden Lippen blitzen die weißen Zähne.
    »Adsuumuuuus!«
    Die Sehnen schwirrten, Bolzen surrten. Beide trafen, durchschlugen die Rüstung mit lautem Krachen, beide drangen bis hinter die Federn ein   – einer durchs Schlüsselbein, der zweite durch den Brustharnisch. Der Ritter wankte, taumelte heftig, hielt sich aber auf den Beinen, und zu Reynevans Entsetzen bewegte er sich aufs Neue auf sie zu, etwas Unverständliches rufend, das ihm aus dem Munde hervorquellende Blut ausspuckend und mit dem Morgenstern fuchtelnd. Dzierżka fluchte, sprang nach hinten, versuchte vergeblich, die Armbrust erneut zu spannen; als sie sah, dass es ihr nicht gelang, wich sie zurück, stolperte, stürzte und schützte angesichts der auf sie niedersausenden Stachelkugel Kopf und Gesicht mit den Armen.
    Reynevan schrie und rettete ihr mit diesem Schrei das Leben. Der Ritter wandte sich ihm zu, Reynevan schoss aus nächster Nähe und zielte dabei auf den Bauch. Der Bolzen schlug auch diesmal bis über das Gefieder ein und durchschlug mit einem trockenen Knall den Panzerschurz. Die Schlagkraft war groß, das Geschoss musste tief in den Eingeweiden stecken, trotzdem sank der Ritter auch diesmal nicht zu Boden, er schwankte, brüllte und hob den Morgenstern zum Schlag. Reynevan wich zurück und versuchte, mit dem Geißfuß die Sehne zu spannen. Erst jetzt bemerkte er, dass er keinen Bolzen mehr hatte. Er blieb mit dem Absatz an einem Erdklumpen hängen, glitt aus, kam

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