Narrenturm - Roman
schnitt.
»Na, na, na«, sagte Scharley tröstend von seinem Pferd herab zu ihm, »es lohnt sich nicht, Tränen zu vergießen, Frater. Es ist doch nichts verloren. Das Pferdchen ist nicht durchgegangen, hier haben wir es. Und das Reiten, Frater, lernt Ihr gewiss auch noch. Denn Zeit dazu habt Ihr, wie ich sehe, Frater, noch seeehr, seeehr viel.«
In der Tat, Scharley hatte Recht. Der Mönch war ein Novize. Bartlos. Ein blutjunges Kerlchen, dem vom Schluchzen die Hände, die Lippen und der Rest des Gesichts zitterten.
»Bruder . . . Deodatus . . .«, stammelte er, »Bruder . . . Deodatus . . . Er stirbt . . . Durch mich . . .«
»Hä?«
»Durch mich . . . stirbt er . . . Ich hab’s verpatzt . . . Ich hab’s verpatzt . . .«
»Du wolltest einen Arzt holen«, vermutete Reynevan geistesgegenwärtig. »Zu einem Kranken?«
»Bruder . . . Deodatus . . .«, schluchzte der Junge, »durch mich . . .«
»Sprich im Zusammenhang, Frater!«
»In Bruder Deodatus«, brach es aus dem Novizen heraus, der nun seine verweinten Augen hob, »ist ein böser Geist gefahren! Er hat von ihm Besitz ergriffen! Da hat mir der Abt aufgetragen, ich soll . . . ich soll so rasch wie möglich nach Schweidnitz reiten, zu den Brüdern Predigern . . . Um einen Exorzisten!«
»Gab es im Kloster keinen besseren Reiter?«
»Gab es nicht . . . Und weil ich der Jüngste bin . . . Ach, ich Unglückswurm!«
»Eher ein Glückspilz«, versetzte Scharley mit ernster Miene. »Tatsächlich, ein echter Glückspilz. Such im Gras deine Sandalen zusammen und lauf zum Kloster. Überbringe dem Abt die gute Nachricht, dass die Gnade des Herrn auf eurem Kloster ruht. Dass du auf dem Damm dem Magister Benignus, einem bewährten Exorzisten, begegnet bist, den wohl ein Engel zu euch geführt hat.«
»Ihr, guter Herr, Ihr seid . . .?«
»Lauf, habe ich gesagt, lauf rasch zum Abt. Melde ihm, dass ich komme.«
»Sag mir, dass ich mich verhört habe, Scharley. Sag mir, dass du dich versprochen hast. Dass du überhaupt nicht gesagt hast, was du da eben gesagt hast.«
»Was denn? Dass wir Bruder Deodatus exorzieren? Aber sicher exorzieren wir den, und wie! Mit deiner Hilfe, mein Junge.«
»Also das auf keinen Fall! Zähl nicht auf mich. Ich habe auch so schon Probleme genug. Da brauche ich keine weiteren.«
»Ich auch nicht. Aber ich brauche ein Mittagessen und Geld. Das Mittagessen am besten sofort.«
»Das ist von allen deinen Einfällen der allerdümmste!« Reynevan sah sich im sonnenbeschienenen Klostergarten um. »Weißt du überhaupt, was du tust? Weißt du, was darauf steht, wenn man sich für einen Geistlichen ausgibt? Für einen Exorzisten? Für irgend so einen Magister Benignus?«
»Was heißt hier ausgeben? Ich bin Geistlicher. Und Exorzist. Das ist eine Frage des Glaubens, und ich glaube. Daran, dass es mir gelingt.«
»Du machst dich wohl über mich lustig?«
»Keineswegs. Fang an, dich geistig auf deine Aufgabe vorzubereiten.«
»Bei so etwas mach’ ich nicht mit!«
»Und warum? Du bist doch Arzt. Also musst du einem Leidenden helfen.«
»Ihm kann man nicht helfen.« Reynevan wies in Richtung Krankenstube, die sie eben verlassen hatten und in der Bruder Deodatus lag. »Das ist Scheintod. Der Mönch ist scheintot. In tiefer Bewusstlosigkeit. Hast du nicht gehört, dass die Mönche versucht haben, ihn aufzuwecken, indem sie ihn mit einem glühenden Messer in die Ferse gestochen haben? Das ist so etwas Ähnliches wie der
grand mal,
die Große Krankheit. Hier istdas Hirn von der Krankheit befallen, der
spiritus animalis.
Ich habe darüber im
Canon medicinae
von Avicenna gelesen, auch bei Rhazes und Averroes . . . Und ich weiß, das kann man nicht heilen. Man kann nur warten . . .«
»Warten, ja, das kann man«, unterbrach ihn Scharley. »Aber warum die Hände in den Schoß legen? Besonders, wenn man etwas tun kann? Und sich dabei etwas verdienen kann? Ohne jemandem zu schaden?«
»Ohne jemandem zu schaden? Und die Ethik?«
»Mit leerem Bauch philosophiere ich nicht gern.« Scharley zuckte mit den Achseln. »Aber heute Abend, wenn ich satt bin und beduselt, erkläre ich dir die Prinzipien meiner Ethik. Du wirst dich über ihre Einfachheit wundern.«
»Das kann böse enden.«
»Reynevan!« Scharley wandte sich heftig um. »Zum Teufel, denk gefälligst positiv!«
»Das tue ich ja. Ich denke, das wird ein böses Ende nehmen.«
»Denk, was du willst! Aber jetzt schweig gefälligst, sie kommen.«
Tatsächlich näherte sich der Abt in
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