Narrenwinter
und gute Nerven. Aber etwas anderes, Herr Schiller. Gut, es ist Fasching im Ausseerland – für die meisten einfach ein Riesenspaß. Für Sie doch wohl eine schwierige Zeit?“
„Sie sagen es.“
„Jetzt habe ich eine Bitte an Sie. Die erste übrigens, seit wir einander kennen.“
„So gut wie erfüllt.“
„So verschieden Sie und Mertens sind, Sie beide schwingen auf gleicher Wellenlänge – mit gefährlichen Folgen, wie man sieht. Sie, Herr Schiller, können irgendwie damit umgehen, Henning Mertens rutscht nur noch tiefer ins Schlamassel. Wäre es denkbar, Ihre junge und für meinen Geschmack etwas zu intensive Freundschaft vorläufig auszusetzen, sagen wir bis zum Eintritt der Normalität hierzulande?“
„Ja. Gerne zugesagt! Wo bleibt Henning eigentlich so lange? Es wird ihm doch nicht übel geworden sein? Ich werde Nachschau halten.“ Schiller stand auf, tänzelte geziert an den Hexen und den Hula-Mädchen vorbei, entschwand Käfers Blick und war bald darauf wieder da. „Er ist weg, fort, verschwunden, perdu!“
„Nein!“
„Ja. Vielleicht will er ernsthaft und alleine nachdenken?
„Fällt mir schwer, daran zu glauben, Herr Schiller.“
„Mir auch.“
„Na gut, wir werden ja sehen … Kennen Sie übrigens die Familie Köberl? Die vom Lehrer und Heimatforscher meine ich.“
„Mit dem Herzmanovsky am Klo. Ja.“
„Haben Sie am Samstag diese Anspielungen im Faschingsbrief gehört oder gelesen?“
„Mir entgeht nichts.“
„Ihre Meinung dazu?“
„In Ebensee könnte anonym ein Sohn Herzmanovskys leben, verstoßen, weil er von Kubin gezeugt wurde. Man hat ihn dereinst mit geschenkten Kunstwerken ruhig gestellt. Die Damen des Hauses Köberl versuchen immer wieder, dem schrulligen Alten weitere Blätter abzuluchsen – wenn diese gewöhnliche Ausdrucksweise gestattet ist. Und Herr Köberl ist in Ischl den krausen Anregungen eines sehr alten Grafen gefolgt und hat doch tatsächlich hinter dem kaiserlichen Jagdstandbild die Gebeine einer weiteren Freundin Franz Josephs entdeckt. Nun frönt er immer wieder einer gewissen Neigung zur Nekrophilie – natürlich ohne ihr nachzugeben.“
„Witzbold! Sepp Köberl hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Und es drücken ihn ganz offensichtlich schwere Sorgen, die würde ich ihm gerne von den Schultern nehmen.“
„Hab ich auch längst versucht. Dem Mann ist nicht zu helfen, Sie dürfen es mir glauben. Reden wir am Aschermittwoch weiter.“
„Was soll dann sein?“
„Die Masken fallen, was sonst? Schluss mit lustig, mein Lieber!“
Schiller gab sich von da an einem vieldeutigen Schweigen hin. Die Maschkera – einige der Hula-Mädchen hatten nun Hexenhüte auf den Köpfen – brachen zu neuen Taten auf. Das Wirtshaus war fast bis auf den letzten Platz besetzt, doch merklich ruhiger geworden.
Käfer nippte an seinem Tee und dachte darüber nach, dass bislang die angestrengte Heiterkeit ringsum für ihn mehr befremdlich als animierend gewesen war – so erging es eben Zaungästen. Aber das Durcheinander gefiel ihm, das Fehlen wichtigtuerischer Narrenvereinsmeierei.
Dann dachte er an Sabine und an ihren einsamen Kampf um ein paar gute Fotos. Unwillkürlich lächelte Käfer.
„Muss schön sein …“ Eustach Schillers rechte Hand wischte sanft über die Tischplatte.
„Schön? Was?“
„An jemanden denken zu können, der einen lächeln lässt. Frau Kremser?“
„Hellseher!“
„Der Neid des Besitzlosen sensibilisiert meine Wahrnehmungsfähigkeit. Nähe …, wie fühlt sich das an, Herr Käfer?“
„Als ob ich das wüsste – jedes Mal anders.“
„Nichts, worauf man sich verlassen könnte, wie? Das würde mich nicht beunruhigen. Ich habe ein seltsames Leben hinter mir: stets reizvoll, doch nie intensiv, erfolgreich, doch nie befriedigend, lasterhaft, doch nie lustvoll. Meine Freundschaften waren immer ernst gemeint, aber lächerlich, und meine Liebschaften …“
„Na los, heraus damit!“
„Ich bin ein emotionales Schmetterlingskind. Sie wissen: Schmerz bei jeder Berührung, Verletzung durch jede Zärtlichkeit. Aber ich kann damit umgehen, übe mich unverdrossen in verzehrendem Gleichmut. So gesehen mag es Sie nicht wundern, dass mir das Unbeständige weniger Angst macht als das Bleibende.“
„Geht’s auch einfacher?“
„Ja.“ Schiller nahm sein Glas, neigte es und ließ den Wein auf den Boden rinnen. „So trinke ich, so lebe ich – an mir vorbei, ohne Umweg nach innen. Praktisch, meinen Sie nicht
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