Narrenwinter
überzeugen. Meine Verehrung demnach, und jetzt muss ich weg. Bis bald, Daniel!“
Henning Mertens schaute dem Enteilenden nach. Dann bückte er sich, formte einen Schneeball, warf und traf zielsicher Puntigams Hinterkopf.
11
„Es ist Ihnen schon klar, dass Sie mir mit Ihren Bemerkungen vorhin nicht eben geholfen haben?“ Käfer hatte die beiden Rodelspringer mit ins Gasthaus Traube genommen, weil er sie nicht unbeobachtet lassen wollte. Außerdem konnte er sich dort auch gleich einen Platz für Sepp Köberls Faschingsbrief sichern.
Mertens gab lange keine Antwort. Seine Augen waren geschlossen, die rechte Hand strich fahrig über Stirn und Schläfen. „Eine alte Wunde ist aufgebrochen. Das ist eine Erklärung, Herr Käfer, und kann natürlich nicht als Entschuldigung gelten. Der mir unterstellte Realitätsverlust trifft übrigens nicht zu. Im Gegenteil: Ich sehe schmerzlich klar. Aber der Kontrollverlust ist gegeben. Derzeit fällt das nicht so auf, Herr Käfer, aber mein persönliches Narrentreiben findet ganzjährig statt – und zwar ohne Rücksicht auf andere, wie Sie soeben zu spüren bekommen haben.“ Mertens zuckte zusammen und öffnete unwillig die Augen. „Jemand foltert eine Katze, schrecklich.“
Eine Gruppe ursprünglich männlicher Hula-Tänzerinnen drang in die Wirtsstube ein und weidete sich mit böser Lust an den Klängen der 60er Jahre. Mertens bekam einen Kranz aus Plastikblüten um den Hals gehängt.
Jetzt brach Eustach Schiller sein Schweigen. „Bei unserem blamablen Höhenflug und der durchaus eindrucksvollen Entgleisung meines Freundes Henning war auch meine Hand im Spiel. Ich kann mitreißend destruktiver Laune sein und unwiderstehlich depressiv. Mit anderen Worten: Manchmal ist es so richtig schön zum Verzweifeln mit mir. So war das auch vorhin, im
Lewandofsky
, beim Champagner. Wir haben uns angefreundet und hübsche Gemeinsamkeiten entdeckt: wir sind zwar nutzlos, aber recht originell, meinetwegen auch lächerlich. Was folgert betrunkene Logik daraus? Man treibe die Posse auf die Spitze und nehme leichthin ein schmerzhaftes oder sogar letales Ende in Kauf. Daher unsere Schlittenfahrt. Und jetzt stellen Sie sich das einmal vor, Herr Käfer: Bruchlandung an den Gestaden des Hades und dort lustwandelt unerträglich diesseitig und provokant Herr Puntigam.“
Käfer betrachtete misslaunig die Hula-Tänzerinnen. „Dieselbe Geschichte mit anderen Worten. So geht das nicht weiter.“
Mertens hob den Kopf. „Sie hörten das Wort zum Sonntag.“ Seine Stimme klang erstaunlich frisch. „Es gibt viel zu tun, packen wir’s an.“ Er reichte Käfer seinen Blütenkranz. „Hier. Halten Sie mal.“
„Was haben Sie vor?“
„Pinkeln.“
Käfer schüttelte verdrießlich den Kopf. „Jetzt einmal im Ernst, Herr Schiller, so weit das heute möglich ist. Sie sind ein erfolgreicher, kultivierter Mann, Mertens ist noch immer eine faszinierende Persönlichkeit. Mir stellt sich aber immer dringlicher die Frage, wie brauchbar er ist. Sie entschuldigen das herzlose Wort. Was halten Sie von Ihrem neuen Freund?“
Schiller wehrte mit Mühe die Versuche einer wild gewordenen Hexen-Horde ab, die ihm ein bläulich schimmerndes Getränk mit Plastikspinnen einflößen wollte. Enttäuscht wandten sich die Teufelsbräute ab und begannen zu den Klängen der Hula-Mädchen zu tanzen.
„Lassen Sie mich eine Gegenfrage stellen, Herr Käfer: Wie brauchbar sind Sie selbst? In den vergangen Monaten habe ich Sie doch eher als …, nun ja, als Traumtänzer kennen gelernt.“
„So mussten Sie es sehen. Aber jetzt liegt ein Vertrag mit Kappus & Schaukal auf dem Tisch. Und ich habe immerhin ein erstes Konzept vorgelegt. Ein ziemlich schlüssiges, hoffe ich wenigstens.“
„Ich weiß, Henning Mertens hat mir davon erzählt.“
„Was sagen Sie da?“
„Er hat Ihr Konzept gründlich studiert und findet es gut. Ein paar Mal hätten Sie geschummelt, meint er, aber ein Mann wie Puntigam würde das ohnehin nie bemerken. So viel zum Thema Brauchbarkeit. Ob Sie seine Eskapaden aushalten wollen, ist eine andere Sache.“
„Ja, und warum redet dieser Unglücksmensch nicht mit mir darüber?“
„Angst, Herr Käfer, zähneklappernde Angst. Mertens traut sich nichts mehr zu. Schon gar nicht die Kompetenz, Ihre Arbeit zu beurteilen.“
„Verstehe. Also doch ein wahrer Scherbenhaufen. Mit einem freundschaftlichen Rippenstoß und ein paar aufmunternden Worten wird wohl nichts zu kitten sein. Da helfen nur Geduld
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