Naschkatze
erklärt hat, sie würde sich auch nach der Hochzeit um die Robben kümmern, zittern die Matronen in der Fifth Avenue (ja, ich weiß, meine Adresse) vor Entrüstung.
Das alles bereitet mir ernsthafte Sorgen. Okay, nicht so sehr wie Sharis und Chaz’ Beziehung (verständlicherweise).
Trotzdem. Dauernd erinnere ich mich, was Tiffany an meinem ersten Arbeitstag in der Kanzlei gesagt hat – John MacDowells Mom würde das arme Mädchen zwingen, ein altes Brautkleid zu tragen, das sich seit tausend Jahren im Familienbesitz befindet.
Ich wette, dieses Kleid ist viel zu klein für die rundliche Jill.
Wie soll sie da bloß reinpassen? Und sie muss es anziehen. Eine bösartige Herausforderung von der Mutter ihres Verlobten. Vermutlich betont sie: »Wenn du’s nicht tust, wirst du niemals zu uns passen. Buchstäblich .«
Also muss Jill der Herausforderung begegnen, oder ihre Schwiegereltern werden sie nie in Ruhe lassen. Und die Presse wird niemals aufhören, die bedauernswerte Braut »Robbenspeck« zu nennen.
Ja, vielleicht bilde ich mir das ein. Aber nach allem, was ich bei Pendergast, Loughlin and Flynn gehört habe, liegen solche Vermutungen nahe.
Was wird Jill tun? Sie muss dieses Kleid zu irgendwem bringen und ändern lassen. Zu wem? Wird sie’s jemandem anvertrauen, der die schwierige Situation versteht? Der ihr die Wahrheit sagt? Dass sie’s niemals schaffen wird, ihre mollige Figur ohne hässliche Einsatzstücke in dieses alte Brautkleid zu zwängen.
O Gott, allein schon der Gedanke an Einsatzstücke jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Und während ich dastehe und beobachte, wie Jill dem Sicherheitsbeamten ihren Führerschein zeigt, erkenne ich, was ich mir wünsche. Sie soll zu mir kommen. Klar, das klingt verrückt. Aber ich will nicht, dass jemand anderes ihr Brautkleid ändert. Nicht, weil ich Angst habe, sie
könnte einem Halsabschneider wie Maurice in die Hände fallen – obwohl auch diese Gefahr eine Rolle spielt. Etwas anderes ist mir viel wichtiger. An ihrem Hochzeitstag soll sie hübsch aussehen – so traumhaft, dass Johns Verwandte nach Luft schnappen, wenn sie zum Altar schreitet. Und der Anblick des Brautkleids soll ihre Schwiegermutter wie ein Schlag ins Gesicht treffen. Dann wird die New Yorker Presse die junge Frau nicht mehr »Robbenspeck«, sondern »bezaubernde Schönheit« nennen.
Dazu kann ich ihr verhelfen. Das weiß ich. Beobachtet Jennifer Harris nicht mit wachsendem Enthusiasmus, was ich – unter Monsieur Henris wachsamen Auge – aus dem alten Brautkleid ihrer Mutter mache? Sogar Mrs. Harris hat bei der letzten Anprobe widerstrebend zugegeben, an Jennifer würde das Kleid »besser« aussehen als an den anderen Mädchen.
Und dafür gibt’s nur einen einzigen Grund – meine professionelle Arbeit.
Genau das will ich auch für Jill tun. Dieses Mädchen hat eine Robbe hochgehoben und sich dabei den Rücken verletzt. Also verdient sie es, von einer ausgezeichneten zertifizierten Spezialistin für Brautkleider betreut zu werden.
Okay, ich bin noch nicht zertifiziert. Doch das ist nur eine Frage der Zeit...
Und wie soll ich Jill mitteilen, dass ich ihr helfen würde, wenn sie mich braucht? Natürlich kann ich ihr nicht meine Visitenkarte zustecken (o ja, ich habe Visitenkarten drucken lassen, mit Monsieur Henris Adresse und meiner Handynummer), ohne die »Diskretion und Professionalität« zu gefährden, die Pendergast, Loughlin and Flynn von allen Angestellten erwarten. Das hat Roberta mir ausdrücklich
eingeschärft. Wenn ich gegen dieses Gesetz verstoße, werde ich meinen Job verlieren. Und den brauche ich vorläufig noch.
Aber so dringend nun auch wieder nicht. Das wird mir klar, als Jill die Sicherheitskontrolle passiert. Da entdecke ich die schlimmste aller Modesünden. Unterhalb ihrer Taille zeigt sich der weiße Hosenbund ihres Slips. O Gott, jemand muss sie retten!
Und dieser jemand werde ich sein. Was ist wichtiger? Meine Miete – oder dieser armen jungen Frau zu helfen, an ihrem Hochzeitstag so schön wie nur möglich auszusehen? Für mich wäre das ein Kinderspiel. Am besten gehe ich sofort zu ihr und biete ihr meine Dienste an. Jetzt sind wir nicht im Büro, meine Freizeit hat begonnen. Und vielleicht wird Jill sich gar nicht erinnern, wo sie mich schon einmal gesehen hat. Niemand erinnert sich an Empfangsdamen...
»Verzeihen Sie...« Oh! Zu spät! Bevor ich sie erreiche, steigt sie in die Liftkabine, und die Türen schließen sich.
Schon gut. Dann werde
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