Naschkatze
Gedanken erschauere ich – zu Kleinfeld’s gegangen wäre.
Ich gebe Jennifer die Tragetasche mit dem Kleid und erkläre ihr, wie sie Knitterfalten entfernen kann – indem sie es ins Badezimmer hängt und die heiße Dusche laufen lässt. Was immer passiert, schärfe ich ihr ein, sie darf es nicht bügeln. Wie im Trance sagt sie einfach nur »okay« – überglücklich, weil sie in ihrem Brautkleid so wundervoll aussieht. Ohne ein weiteres Wort läuft sie hinaus zu der Parklücke, wo das Auto steht. Ihre Mutter ist etwas höflicher. Nachdem sie Monsieur das Geld gegeben hat, kommt sie zu mir, drückt meine Hand und schaut mir in die Augen. »Vielen Dank, Lizzie.«
»Oh, keine Ursache, Mrs. Harris.« Ich bin ein bisschen verlegen. Irgendwie ist es seltsam, wenn einem für etwas gedankt wird, das man gern gemacht und so oder so getan hätte. Ganz egal, ob man Geld dafür kriegt oder nicht (in diesem Fall nicht ).
Aber als Mrs. Harris meine Hand loslässt, erkenne ich meinen Irrtum. Denn sie hat mir heimlich einen Geldschein zugesteckt.
Da erinnere ich mich sofort an Grandma und ihren Notgroschen – die zehn Dollar, die immer noch in meiner Börse stecken. Erstaunt schaue ich hinab und sehe zwei Nullen auf dem Schein von Mrs. Harris. »Oh, das kann ich nicht annehmen...«, beginne ich.
Aber Mrs. Harris ist bereits zur Tür hinausgerauscht, nachdem sie versprochen hat, alle ihre Freundinnen mit heiratsfähigen Töchtern zu Monsieur Henri zu schicken. »Und ich werde dafür sorgen, dass sie sich von diesem
schrecklichen Maurice fernhalten!«, lautet ihr Abschiedsgruß.
Sobald sie verschwunden ist, fällt Madame Henri wieder über ihren Mann her. »Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug – letzte Nacht sind deine Jungs wieder im Apartment geblieben!«
»Das sind auch deine Söhne«, betont Monsieur Henri.
»Nein«, verbessert sie ihn. »Jetzt nicht mehr. Wenn sie nur in die Stadt kommen, um sich in Nachtclubs herumzutreiben und mein blitzsauberes Apartment schmutzig zu machen – und sie wissen genau, dass sie’s nicht benutzen dürfen -, dann sind es deine Söhne. Kannst du ihnen nicht ein bisschen Disziplin beibringen?«
»Was soll ich denn machen? Sollen sie doch die Vorteile genießen, auf die ich in meiner Jugend verzichten musste!«
»Welche Vorteile haben sie denn?«, kreischt Madame Henri. »Höchste Zeit, dass sie für sich selber sorgen! Allmählich müssten sie rausfinden, wie’s im wirklichen Leben zugeht, und sich selber ernähren!«
»So einfach ist das nicht.«
Damit hat er recht. Ich starre immer noch den Hundert-Dollar-Schein in meiner Hand an – das erste Geld, das mir in dieser Stadt sozusagen »zugeflogen« ist. Hier ist alles so teuer! Sobald ich meinen Gehaltsscheck kriege, ist der ganze Zaster schon wieder weg. Erst die Miete, dann der Strom et cetera, das Essen, das Kabelfernsehen (weil ich ohne den Style Channel nicht leben kann), und was dann noch übrig ist, geht fürs Handy drauf.
»Nun«, schnauft Madame Henri, »ich lasse die Schlösser am Apartment ändern. Und den Schlüssel verwahre ich hier im Laden. In einem sicheren Versteck.«
Dazu kommen noch die Abgaben für die Sozialleistungen und die Krankenkasse. Zum Schluss bleibt so gut wie nichts übrig.
»Und wie viel wird mich das kosten?«, will Monsieur Henri wissen.
»Ganz egal, wie viel – das ist es wert«, behauptet Madame Henri. »Dann bin ich diese Schweine endlich los. Du solltest mal sehen, was ich im Schlafzimmer im Papierkorb gefunden habe. Ein Kondom! Benutzt!«
Bei diesen Worten kann ich unmöglich so tun, als würde ich kein Französisch verstehen. Gegen meinen Willen schneide ich eine Grimasse. Kein Wunder, denn Madame Henri schwenkt einen Plastikbeutel durch die Luft, der offensichtlich den Beweis für ihre Behauptung enthält.
»Igitt!«, stöhne ich.
Beide Henris schauen mich neugierig an.
Hastig rümpfe ich die Nase und beschwere mich: »Dieser Müll stinkt.« Das stimmt sogar. »Soll ich ihn hinausbringen?«
»Eh – ja – danke«, stimmt Madame Henri zu. »Der Abfall aus unserer Wohnung im oberen Stockwerk.«
Mit spitzen Fingern ergreife ich den Beutel. »Gehört das Apartment da oben Ihnen?« Dass sie das ganze Sandsteinhaus besitzen, in dem der Laden liegt, wusste ich gar nicht. Ich dachte, sie würden in New Jersey wohnen, weil sie ständig über die schlechte Pendelverbindung jammern.
»Ja«, bestätigt Monsieur Henri. »Den ersten Stock benutzen wir als Lagerraum, und
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