Naschmarkt
Multiple-Choice-Eingaben das Glück errechnet. Virtuelle Paarung im globalen Netzwerk.
Die neueste Erfindung geschäftstüchtiger Webromantiker ist eine Flirtplattform namens
Literally in Love.
Durch perfekte Abstimmung literarischer Persönlichkeiten zum individuellen Happy End in nur zwei Monaten. Bequem von zu Hause aus, keim- und virenfrei. Willkommen im Zeitalter des Datenverkehrs! Ungewiss ist, ob Romeo auf diese Weise mit Julia vernetzt worden wäre, wo doch schon bei der Frage nach frühmorgendlichen Vogelstimmen Uneinigkeit herrschte.
Die Rechnung könnte so einfach sein: »Eins plus eins ergibt zwei!«
Pluseins
macht sich gut auf Urlaubsfotos, Einladungen zum Fondueabend oder in Herzchen an Baumstämmen. Dass eine dermaßen geritzte Sache kein Honigschlecken ist, dieses Wissen hat uns der Braunbär seit jeher voraus. Dating ist in Tierkreisen ohnehin kaum verbreitet, und selbst Schwänen verhagelt es schon mal die Sicht, wenn sie einem aufgeblasenen Plastikboot begegnen.
Mathematisch gesehen mag
Pluseins
also mehr sein als
Plusnull,
aber der ultimative Weg zu maximalem positiven Gleichgewicht führt über
Pluskatze!
Oder
Plushund!
Wer will denn Seelenverwandte per Mausklick casten, wenn es weit entspannender ist, die Maus dem Seelenverwandten zu verfüttern und es sich mit einem guten Buch auf der Couch bequem zu machen?
Ganz ehrlich? Ich date nicht, ich lese lieber! Ein Mann nimmt in etwa so viel Platz ein wie hundert Bücher. Leider lässt er sich nicht auslesen und zuklappen!
Donnerstag, 6 . Oktober
»Das ist alles meine Schuld!«
Lorenz’ Stimme bebt vor Panik. Ich fürchte, dass ich ihn ohrfeigen muss, falls es ihm einfällt, gleich in Tränen auszubrechen. Ruhe bewahren! heißt das Motto, selbst mitten im Chaos.
Seit ich in der Früh die Redaktion betreten habe, herrscht Ausnahmezustand. Chefredakteur Alfons Pohl, mein cholerischer Boss, bis dahin offensichtlich nicht informiert, scheint beim morgendlichen Klogang, der stets mit einem Kontrollblick in den aktuellen
Boten
beginnt, durch die schiere Unverschämtheit meiner Kolumne einen akuten Schock erlitten zu haben. Verstopfung inklusive. Sorina Loos hingegen tobt wie ein Feuer speiender Drache, weil diese Kolumne vermeintlich ohne ihr Okay in Druck gegangen ist und Pohl ihr seither die Hölle heißmacht.
Wie das passieren konnte, ist leicht erklärt: Ich hatte die Kolumne der Loos gemailt und Lorenz im CC geschickt.
Er
dachte wiederum, da der Redaktionsschluss schon so nahe war und von der Loos keine andere Rückmeldung kam, das sei bereits die korrigierte Fassung, und schickte sie sofort an die Druckerei weiter. Ungewöhnlich, aber keineswegs ausgeschlossen in einer so großen Redaktion.
So kam es dazu, dass meine dreihundert Wörter an prominenter Stelle im
Österreichboten
publiziert wurden, ohne von Ressortleitung oder Chefredaktion gelesen worden zu sein. Seit einer geschlagenen Stunde tagt nun die in aller Eile zusammengerufene Ressortleitersitzung hinter verschlossenen Türen. Lorenz und ich stehen wie ein Paar zum Tode verurteilter Schwerverbrecher davor. Ihm gelingt es natürlich, obwohl er mehr als zwei Köpfe größer ist als ich, sich nahezu zu verdünnisieren. Selbst seine Stimme klingt irgendwie schmal und piepsig wie von einem halbtoten Vögelchen im Maul der Katze.
»Dafür wird sie mich kündigen, Dotti.«
Sehe ich bereits ein feuchtes Glänzen in seinen Augen? Ich seufze. Müsste ich ihm nicht im Grunde meines Herzens zustimmen, würde mir vielleicht ein tröstendes Wort einfallen. Stattdessen krame ich eine Packung Werther’s aus meiner Hosentasche und strecke sie ihm hin. Dankbar nimmt er eines, wickelt es mit viel Geraschel aus und steckt es in den Mund. In dem Moment öffnet sich die Tür, und die Loos rauscht mit einem gezischten: »Mein Büro, alle beide
. Jetzt!
«, an uns vorbei.
Zwei Minuten später bricht der Orkan aus. Doch er entwickelt sich anders als erwartet.
»Also, was wollen Sie?«
Sie knallt die Tür hinter sich zu.
»Wie bitte?« Ich habe mehr mit einem Intro à la »Idiotisches Pack« gerechnet.
»Tun Sie nicht so scheinheilig! Das ist ein abgekartetes Spiel. Sie wissen beide, dass ich gestern Abend nicht im Büro war, um die Kolumne gegenzulesen. Ich hatte einen wichtigen Termin.
Außerhalb.
Aber darüber sind Sie ja längst informiert.«
Wie eine waschechte Bösewichtin in einem Verschwörungsthriller nähert sie sich Lorenz, der vor Schreck erstarrt. Das Werthers-Bonbon
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