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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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zeichnet sich als Beule unter seiner linken Wange ab.
    »Ich wette, Sie, Kanzler, haben mich verfolgt und alles gesehen. Also: Was verlangen Sie beide von mir?«
    Mit kajalverzierter Märtyrermiene stellt sie sich hinter ihren Schreibtisch und fächelt sich mit etwas Luft zu, das verdächtig nach einer Karte mit pinken Herzchen drauf aussieht.
    »Ich …« Lorenz und ich sehen uns an. Ist das jetzt bloß Kopfkino oder die Realität? Ich bin verwirrt. Lorenz’ kugelrunder Blick wechselt hektisch zwischen mir und unserer Chefin hin und her, als ich mich aufs Tanzparkett wage: »Ich würde sagen, das kommt ganz darauf an, was Sie zu bieten haben, Frau Loos.«
    Nun sieht sie mir direkt in die Augen.
    »Ha! Wusste ich es doch. Sie wollen aus meinen Schwächen Kapital schlagen. Den ersten und einzigen Fehltritt zu Geld machen. Was sind Sie für eine Kollegin? Sind Sie überhaupt eine Frau? Haben Sie jemals weibliche Gefühle in Ihren Schlabberhosen oder heiße Sohlen in Ihren grässlichen Converse-Schuhen? Wohl kaum, sonst wüssten Sie, dass eine Frau manchmal … und … nicht.«
    Der Rest geht in diffusem Schluckauf unter. Sorina Loos schenkt sich ein Glas Wasser ein, das sie in einem Zug austrinkt. Dann zieht sie ein Kleenex aus dem Spender auf ihrem Schreibtisch und schneuzt sich. Ich starre sie irritiert an. Etwas stimmt hier nicht. Ganz und gar nicht.
    »Na gut, Frau Wilcek. Die letzten zwei Minuten sind nie geschehen, haben wir uns verstanden?«
    »Selbstverständlich, Frau Loos«, antwortet Lorenz an meiner Stelle. Ich lasse meine Vorgesetzte nicht aus den Augen.
    »Dafür garantiere ich, dass Sie sich ab jetzt ungestört der Literaturseite widmen können. Keine weiteren Experimente. Pohl hat ein Erratum in Auftrag gegeben, in dem steht, dass die Kolumne irrtümlich hineingerutscht ist. Seien Sie froh, dass Sie nicht in hohem Bogen rausfliegen. So ein grauenhafter Text wurde im
Österreichboten
noch nie veröffentlicht.
Pluskatze?
Was für ein Schwachsinn!«
    Ich kämpfe gegen das dringende Bedürfnis an, ihr ein Kleenex in den Hals zu stopfen.
    »Ich gebe zu, dass die Datingstory ihrer Zeit voraus war und mehr journalistisches Gespür erfordert, als Sie es haben. Sie haben es nur mir zu verdanken, dass Sie weiterhin Ihre kleinkarierten Rezensionen schreiben dürfen. Aber das ist nicht alles. Ich werde bei Pohl um eine Aufbesserung Ihrer Gehälter ersuchen. Im Gegenzug möchte ich, dass Sie beide bei allem, was Ihnen heilig ist, schwören, dass ich gestern in meinem Büro war, und zwar ohne Unterbrechung, ist das klar?«
    Lorenz zögert, nickt aber dann eifrig und hebt die Hand zum Klingonengruß. Ich mache keine Bewegung. Die Loos beugt sich über den Schreibtisch zu mir. Ihr Atem riecht nach Tic Tac. Die extrastarke Sorte. Ob Madame ein Alkoholproblem hat?
    »Das wollten Sie doch, Frau Wilcek. Mir beweisen, dass ich falschliege. Die Kolumne ist Geschichte. Passé. Müll. Ist ja wohl nicht schade darum. Sie hätten hören sollen, was die Ressortleiter gesagt haben: Eine lächerlichere Themenverfehlung hat die Welt noch nicht … JA ?«
    Sie faucht in ihr Handy, das die ganze Zeit bereits auf dem Tisch vibriert.
    Das Gespräch beginnt mir Spaß zu machen. Egal, welches Geheimnis Sorina Loos hat, solange sie glaubt, dass ich sie auffliegen lassen kann, habe ich meine Ruhe vor blödsinnigen Datingkolumnen und ähnlichen glorreichen Einfällen. Mir hätte nichts Besseres passieren können, als dass meine Kolumne auf diese Weise in den Redaktionsmüll befördert wird.
    Ich male mir aus, wie ich heute Abend in einer rituellen Handlung meinen Account bei
Literally in Love
lösche und es mir danach, in meine kuscheligste Lesedecke gewickelt, auf der Couch bequem mache. Bloß nicht daten. Endlich glücklich und zufrieden allein mit dem Kater, der Jumboteetasse, den Flauschsocken und einem knackigen UPS -Boten …
    Knackiger UPS -Bote? Woher kommt das denn? Verstört blinzle ich den Gedanken fort.
    »Und das sagen Sie mir erst
jetzt?
Wofür sind Sie eigentlich Online-Redakteur, Sie Vollidiot? Ja, Ihnen auch. Blödmann!« Die Loos drückt die Gesprächsabbruchtaste so fest, als wäre das Gerät eine vertrocknete Zitrone, deren letzter Tropfen Saft ihr in die Augen spritzt. Einen saureren Blick habe ich noch nie gesehen.
    »Kanzler, Sie hängen sich sofort an den Computer! Dalli! Und Sie, Frau Wilcek«, beinahe erstickt sie an meinem Namen, »Sie beginnen am besten gleich mit der Arbeit an einer neuen Kolumne. Die Zeit

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