Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
Vom Netzwerk:
englisch blasse Haut wirkt fast durchsichtig, was durch die naturrote Farbe unserer Haare verstärkt zur Geltung kommt. Frauen wie uns genügt eine winzige Falte zwischen den Augenbrauen, das Zucken eines Mundwinkels oder ein zartes Beben der Lippen. Wenn man es dazu noch wie meine Mutter perfekt versteht, einen leichten Tränenfilm auf die Pupillen zu zaubern, ist es praktisch unmöglich, uns einen Wunsch abzuschlagen.
    »Das
Kitty
ist auf der Straße ausgesetzt worden. Direkt vor meinem Lokal. Miki hat es im – wie sagt man –
rubbish
gefunden. Stell dir das vor, Dorothy.«
    Meine Mutter nennt mich nur bei meinem vollen Namen, wenn sie mich zu irgendetwas überreden will. Meistens dazu, mir doch endlich schöne Kleider in Lavendelfarbtönen zu kaufen oder nicht diesen schrecklichen afrikanischen Tee zu trinken.
    »Müll, Mummy, Müll.«
    »Genau, in einem Mülleimer. Gestern Abend, als wir das Lokal geschlossen haben. Miki wollte den
rubbish
entsorgen, als der Kleine ganz kläglich fiepte. Wir haben ihm sofort
cream
gegeben. Ist er nicht liebelig?«
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Warum behältst
du
ihn nicht?«
    »So ein Unsinn, Dorothy, du weißt, wie wenig ich daheim bin. Der Laden, die Events, der Club, ich bin immer
busy.
Aber du, du gehst doch nie aus, sitzt andauernd da wie eine Kartoffel auf der Couch und liest deine Bücher. Das wird gut für dich sein, wenn du jemanden hast, für den du …«
    »Auw«, sagte der Kater in seinem Körbchen, und, so verrückt das klingt, ich verstand ihn sofort. In diesem Laut steckte genau jene ausführliche Antwort, die ich meiner Mutter immer schon gern gegeben hätte, wenn das Gespräch die
gefährliche
Wende
nahm.
    Meine Mutter war, im Gegensatz zu vielen anderen Müttern, gar nicht der Ansicht, dass ich einen Mann in meinem Leben brauchte. Sie hatte es ja auch ganz passabel ohne geschafft, nachdem mein Vater sie kurz nach meiner Geburt wegen einer dunkelhaarigen Schönheit abservierte. Aber Lady Lydia Rocksbridge kommt täglich mit Nachwuchs aller Altersstufen in Kontakt, schließlich sind die meisten Kundinnen ihres Ladens bereits hauptberufliche Großmütter. Das veranlasst sie regelmäßig, Bemerkungen zu machen, wie: »Luise Kohls Tochter ist erst dreiundzwanzig,
Darling,
und sie ist
schon wieder
schwanger.«
    Was der Kater mit seinem »Auw« so schön ausgedrückt hat, davon bin ich bis heute überzeugt, war ein tiefes Verständnis für die Sorgen einer jungen Frau im gebärfähigen Alter, die die Bürde trägt, als Einzelkind allein für die Omawerdung ihrer Mutter zuständig zu sein. Dieses »Auw« war der entscheidende Grund für seinen Einzug in meine Wohnung und mein Leben.
    Endlich hatte ich einen Komplizen, der die Last der »Beenkelung« von mir nahm. Der Kater mutierte zum Enkelersatz und wurde dementsprechend verwöhnt. Das ging so weit, dass meine Mutter mit Kuchenrezepten für Haustiere experimentierte. Kochen ist nämlich ihr Metier. In ihrem Laden, dem
Lady’s Pies & Pages,
verkauft sie nicht nur englische Kuchen, englische Backzutaten und englische Kochbücher, sondern hält auch äußerst erfolgreiche Backkurse, Lesungen und Poetryslams ab. Selbstverständlich war ihr Kurs zu dem Thema innerhalb von dreißig Minuten ausgebucht, und der Kater verdoppelte sein Gewicht in der Rekordzeit von zwei Monaten.
    Seither steht er industriell hergestelltem Katzenfutter kritisch gegenüber. Gemeinsam mit Miki taufte ich ihn Neko, japanisch für Katze, aber innerhalb der Familie heißt er einfach nur
der Dicke.
Sein beeindruckendstes Kunststück besteht darin, zehn Stunden am Stück reglos auf dem Rücken zu liegen, alle vier Pfoten in die Höhe gestreckt.
     
    All diese Erinnerungen laufen im Zeitraffer vor meinem geistigen Auge ab, während das Telefon hinter der Couch vibriert. Ich hebe ab, was sich als Fehler herausstellt.
    »Frau Wilcek«, keift mir Sorina Loos ins Ohr. »Ich rufe an, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie Ihre Kolumne und im Übrigen auch Ihren Job vergessen können, wenn nicht innerhalb der nächsten sechzig Minuten brauchbare dreihundert Wörter in meinem Posteingang landen. Und Gnade Ihnen Gott, wenn die nicht bereits druckfertig sind, oder haben Sie zufällig mal auf die Uhr gesehen? Ich habe jetzt einen Termin beim Chef, in einer Stunde bin ich wieder da, dann will ich Ihren Text auf meinem Schreibtisch sehen, ist das klar?«
    »Kein Problem«, lüge ich, »ich sitze grade am Feinschliff.«
    »Bestens. Sechzig

Weitere Kostenlose Bücher