Naschmarkt
das einer von den besonders unerfreulichen Montagen wird. Bereits am Freitagabend, als wir nach Redaktionsschluss unseren langjährigen Ressortleiter Michael Könneke in die Väterkarenz verabschiedet haben, hatte ich so ein Gefühl. Denn seine Vertretung als Leiterin der Kulturredaktion übernimmt seit heute ausgerechnet Sorina Loos, die in Journalistenkreisen auch als die
loose Skandalnudel
bekannt ist.
Vor zwei Jahren hat sie sich auf einer Premierenfeier in der Wiener Staatsoper eine Anzeige wegen sexueller Belästigung eingehandelt, weil sie einen angehenden Starsänger unzüchtig begrapscht haben soll. Der Arme ist seither in Therapie.
Po-litische Inkorrektheit
war der genaue Wortlaut der Schlagzeile. Sorina Loos taucht regelmäßig in Klatschspalten auf, lässt sich kein Society-Event entgehen und verreißt mit Begeisterung die Arbeit junger, aufstrebender Kulturschaffender, wenn die ihr in der Pause die falschen Brötchen spendieren oder der Champagner lauwarm ist. Ihre Kritiken sind wegen ihrer beleidigenden Angriffe gefürchtet. Und so jemand wird Ressortleiterin der Kulturredaktion bei der drittgrößten Tageszeitung Österreichs.
Angesichts dieser Tatsachen breiten sich die bohrenden Kopfschmerzen bis in meine Ohrmuscheln aus, die bestimmt hochrot leuchten. Das war
mein
Job! Ich habe mich schon vor einem halben Jahr darum beworben, habe alle meine Publizistikzeugnisse herausgekramt und Empfehlungsschreiben gehortet. Ich war sogar im Theater, jede Woche, mit schmerzendem Hinterteil. Aber anscheinend bringt es mehr, Hintern zu begrapschen, als sie sich bei der Arbeit wund zu sitzen.
»Frau Wilcek? Ich fragte …«
»Po-Nudel«, entfährt es mir. Rasch beiße ich mir auf die Lippen. Wieder einmal eine Glanzleistung. Gleich am ersten Tag die Zusammenarbeit mit der neuen Vorgesetzten verweigern und obendrein noch eine Prise Beleidigung einstreuen. Bravo!
»Frau Wilcek, haben Sie etwa ein Problem mit mir?«
Sorina Loos lächelt, streicht sich eine ihrer schwarz gefärbten Haarsträhnen aus dem Gesicht und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Sie weiß ganz genau, dass ich ein Teekessel kurz vorm Pfeifkonzert bin. Schließlich stand sie neben mir, als unser Chef verkündet hat, dass nicht ich, sondern sie die Karenzvertretung bekommt. Ihr Lächeln war damals das gleiche gewesen.
»Ich will«, fährt Sorina Loos, ohne auf meine Antwort zu warten, fort, »dass
Sie
die Kolumne über die Internetflirtplattform übernehmen, weil
Sie
der einzige weibliche Single in der Redaktion sind.«
Leni Treu blickt von dem Protokoll auf, an dem sie eifrig geschrieben hat und schenkt mir das selbstzufriedene Lächeln aller Jungverheirateten. Ich schaue sie so lange böse an, bis sie sich hastig ihren Notizen zuwendet.
»Apropos Single, Kollege Kanzler«, die Loos deutet auf Lorenz, der wie immer mit größter Ernsthaftigkeit daran arbeitet, trotz einer Körpergröße von eins fünfundneunzig unsichtbar zu sein, und dem Gespräch mit offenem Mund gelauscht hat, »wird Sie bei der Recherche unterstützen. Sie haben freie Hand. Machen Sie was draus. Der Kulturteil präsentiert sich viel zu elitär, es ist unsere Aufgabe, auch jüngere Leser anzusprechen. Da kommt uns diese neue literarische Datingseite gerade gelegen. Und Literatur
ist
doch Ihr Ressort, Frau Wilcek? Ich frage Sie also noch einmal …«
»Nein.«
Schon wieder.
Lorenz zuckt zusammen. Sein Weltbild ist erschüttert. Für ihn rangiert der Ressortleiter gleich nach Gott. Nur der Chefredakteur und Kahless, der Gründer des Klingonenimperiums, stehen zwischen diesen konstanten Größen seines Universums. Niemand sagt nein zu Gott.
Aber Gott ist sowieso überbewertet, sonst säße ich jetzt nicht mitten in der Jauche. Wer kommt auch auf diese blödsinnige Idee, eine Flirtplattform auf literarischer Basis zu erfinden? Menschen mit einer Bibliothek vom Umfang eines Fünfzig-Quadratmeter-Lofts haben keine Zeit zu flirten. Schon gar nicht, wenn sie sich geschworen haben, ohne Mann glücklich zu werden.
»Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wenn Sie die Kolumne nicht machen wollen, muss ich in der nächsten Ressortleitersitzung die Sinnhaftigkeit einer festangestellten Literaturredakteurin zur Debatte stellen. Die paar läppischen Rezensionen könnten wir auch von freien Mitarbeitern schreiben lassen, nicht wahr?«
Ich will etwas sagen. Circa dreitausend schlagkräftige Argumente köcheln in mir. Leider verpuffen sie irgendwo hinter dem Kehlkopf, denn was am Ende
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