Naschmarkt
machen. Im Herbst riecht es überall nach feuchtem Laub und Nebel. Er hat einen Beruf, der etwas mit Büchern zu tun hat, vielleicht Bibliothekar oder Besitzer eines kleinen, gut sortierten Antiquariats. Das Erste, was er tut, wenn er ein Buch in die Hand bekommt, ist, es in der Mitte aufzuschlagen und daran zu riechen. Ein Genießer. Er legt Wert auf modische, aber lässige Kleidung, trinkt seinen Tee mit Milch, seinen Rotwein dekantiert, liebt lange Spaziergänge sowie die Ruinen alter Burgen und Schlösser. Womöglich interessiert er sich sogar für Ornithologie und hockt mit einem Fernrohr in der Nähe einer gemauerten Tränke. Jeden ungewöhnlichen Vogel, den er dabei sieht, vermerkt er in einem schwarzen Moleskine-Tagebuch. Ferner sammelt er etwas, Briefmarken oder Theaterprogrammhefte vielleicht. Wenn er verreist – und er verreist viel – begibt er sich stets auf die Suche nach wichtigen Schauplätzen aus Literatur und Geschichte. Außerdem …
»Huhu! Dotti!«
»Hm?«
»Träumst du? Wir sind fertig. Du musst nur noch deine Kreditkartendaten angeben. Hier.« Er schiebt mir die Tastatur hin. Nachdem ich zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit einen Account bei
Literally in Love
erworben habe, schiebe ich sie zurück. Er betrachtet mich nachdenklich.
»Soll ich auf Senden klicken?«
Ich nicke und starre gebannt auf den Bildschirm. Welche fiktive Figur wird mein perfekter Mann wohl sein? Wie viele Matchingpunkte werden wir haben?
»Schnell, schau in deinen E-Mails nach! Du müsstest eine Mail von
Literally in Love
bekommen haben.« Aufgeregt zwicke ich Lorenz in den Arm.
»Au! Schon gut, hier ist eine E-Mail.«
»Und? Was steht da?«
»Du bist Gilderoy Lockhart!«
»Na hör mal.«
»Nicht du. DU!«
»Was?«
»Das steht da. Du legst viel Wert auf Äußerlichkeiten, bla bla, hältst dich gern für mutiger und klüger, als du bist. Weiters kannst du andere Menschen mit Charme und Ausstrahlung für dich gewinnen.
Wicked.
« Er feixt.
»Ist das alles?«
»Ja. Nein, warte, da steht, dass du einen Partner brauchst, der verständnisvoll ist und nicht versuchen sollte, dich zu ändern. In Wahrheit liebst du deine Freunde, doch dich liebst du ein bisschen mehr.«
»Soll das ein Witz sein? Wird diese Plattform vom Verlag gesponsert, oder handelt es sich um
Potter
-Wiki für Anfänger? Hat auch nur eine meiner Antworten in Richtung eingebildeter Zauberbuchautor gedeutet? Die sollten sich umbenennen in
Potterly In Love – Welcher Harry-Potter-Charakter sind Sie?
«
»Lass mich raten: Du bist Hermine.« Lorenz grinst von einem Ohr zum anderen. »Schau mal, Dotti, damit so eine Seite breitenwirksam bleibt, müssen sie sich an den meistgelesenen Büchern im deutschsprachigen Raum orientieren. Ich wette, die Fragen sind alle darauf ausgelegt, dass man am Ende eine Figur von Rowling, Tolkien, Follett, Meyer, Funke oder Coelho ist.«
»Aber das ist völliger Schwachsinn.«
»Sei froh, dass dein Traummann kein blutsaugender Vampir oder blondgelockter Elf ist.«
»Ha, ha, sehr komisch. Schau lieber nach, welches Matchingergebnis herauskommt.«
Lorenz loggt sich in meinen Account ein und sucht nach dritteperson.
»Gar nicht so schlecht, Dotti. Hermine und Gilderoy passen zu zweiundsechzig Prozent zusammen. War es nicht das, was du beweisen wolltest?«
Seltsamerweise will sich der Triumph nicht wirklich einstellen. Ist es tatsächlich so, dass meine Idealvorstellung etwas mit einem
Harry-Potter
-Charakter zu tun hat? Was ist mit meinem schönen Bild vom lässigen, intellektuellen, bibliophilen Ornithologen? Habe ich vielleicht eine völlig falsche Erwartungshaltung? Und warum kratzt mich das überhaupt?
»Hey, Dotti, aber einen User gibt es, mit dem du zu neunundneunzig Prozent zusammenpasst. Hast du das schon gesehen?«
»Nein. Wie heißt er denn? Ronald Weasley der Zweite?«
»Nein. Er nennt sich djfleming.«
Liebst du schon oder lebst du noch?
Spock sucht Uhura.
Freitag 21 . Oktober
Nerd ist das neue sexy.
Ging es in früheren Generationen noch darum, die eigenen optischen Vorzüge hervorzuheben, um damit die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts auf sich zu ziehen, regiert im Bereich des Internetdatings die Nerd-Attitüde. Nicht mehr die körperliche Attraktivität steht im Zentrum der Partnersuche, sondern immer stärker der Wunsch nach Gleichgesinnung. Spock sucht Uhura. Also flirten Linuxuser mit Linuxuserinnen, Vampire mit Vampirinnen, Theaterwissenschaftler mit
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