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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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Armlehne seines Schreibtischsessels und beobachte, wie sich die bereits vertraute pflaumenfarbene Seite mit der weißen Schrift öffnet.
Du bist die Hauptfigur deines Lebens.
Wie wahr. Dann wollen wir mal eine schöne Hauptfigur erfinden.
    »Username?«, fragt Lorenz.
    »Dritteperson«, antworte ich, »in einem Wort.«
    »Dritteperson? Findest du das originell?«
    »Mach einfach.«
    »E-Mail-Adresse?«
    »Nimm deine.«
    »Na großartig!«
    Lorenz sieht mich zunehmend traurig an.
    »Irgendeine, die du für Spam verwendest.«
    Er tippt. Ich habe sogar ein wenig Mitleid mit ihm.
    »Okay. Passwort?«
    »Trekkie«, antworte ich, wie aus der Pistole geschossen.
    »Muss das sein?«
    »Komm schon, es ist völlig egal.«
    Ich schenke ihm mein strahlendstes Lächeln.
    »Gut, gut.« Er tippt lauter als nötig. »So, angemeldet bist du, also, ich meine,
er.
Erste Frage: Welches ist dein Lieblingsbuch?«
    Darüber habe ich nachgedacht. Einerseits wäre ein intellektueller Mann wünschenswert, der Thomas Bernhard, Max Frisch oder Albert Camus zu schätzen weiß. Andererseits spricht auch viel für einen Phantasten, der seinen Tolkien und Carlos Ruiz Zafón liebt. So jemanden stelle ich mir immer in einer altmodisch eingerichteten Bibliothek im Ohrensessel, aber mit Calvin-Klein-Jeans vor. Schwierige Entscheidung.
    »Auf gar keinen Fall darf es
Der Alchimist
oder
Hectors Reise
sein. Das sind Bücher für penetrante Glückssucher mit Hang zur Esoterik.«
    »Ich mag Coelho.«
    Lorenz sieht gekränkt aus.
    »
Der Alchimist?
Ich bitte dich, eitles Geschwafel.
Elf Minuten
war ganz okay. Seither vermute ich, dass Paulo Coelho in Wahrheit das Pseudonym von Alice Schwarzer ist.«
    Wir sehen uns an und müssen gleichzeitig grinsen. Ab und zu, wenn er Humor beweist, ist Lorenz eigentlich nett.
    »Wie wäre es mit
Das Schweigen der Lämmer?
«
    »Besser, bloß ist ein Mann, der gern Thriller liest, auch nicht mein Ideal. Zu geringe Schmerzgrenze, zu viel masochistische Schaulust. Hin und wieder mal einen Fitzek oder was vom guten alten King, in Ordnung, aber nicht als Lieblingslektüre.«
    »Was hast du denn angegeben?«
    »
Kitchen
von Banana Yoshimoto.«
    »Ist das nicht diese japanische Kultautorin?«
    »Genau.«
    »Und welches Buch soll ich jetzt für dritteperson eintragen?«
    »Schreib
Wilde Schafsjagd
von Haruki Murakami. Das müsste am besten zusammenpassen. Ein Krimi, aber irgendwie doch verrückt phantastisch. Ein Lieblingsbuch für einen mutigen, unkonventionellen und phantasievollen Buchliebhaber.«
    »Wie du meinst.«
    Er tippt.
    »Nächste Frage: Welches wäre deine bevorzugte Adresse: a) Baker 221b Street, b) Mengstraße 4 , c) Beutelsend, Bühlstraße, d) Plomb du Cantal, e) 33  The Close, Salisbury.«
    Ich muss nicht mal überlegen.
    »Ganz klar die Baker Street. Nicht, dass ich besonders auf Sherlock Holmes stehe, aber jeder charmante Mann sollte es tun. Und sich dabei ein bisschen wie ein kleiner Junge fühlen, der später mal ein berühmter Detektiv werden will. Schade eigentlich, dass diese Option bei uns Frauen nicht im Angebot war.«
    »Also a?«
    »Definitiv. Meine Antwort war übrigens Greenway House. Agatha Christie«, ergänze ich, als ich Lorenz’ ratlosen Blick bemerke.
    »Das war mein Kleinmädchentraum. Krimischriftstellerin, die Morde aufklärt. Ich liebe Jean Stapleton als Ariadne Oliver. Meine Mutter besitzt alle Agatha-Christie-Verfilmungen auf VHS . Sie kann sie immer noch auswendig mitsprechen.«
    Beim Gedanken an Fernsehnachmittage mit meiner Mutter muss ich lächeln. Wir beide in Pyjamas mit dicken, bunten Wollsocken an den Füßen, dampfender Earl Grey mit viel Milch und Kandiszucker, dazu Scones, frisch aus dem Backofen, mit
Clotted Cream
in einer Porzellanschüssel. Und meine kleine, starke Mutter, die die Lippen zu Jean Stapletons Text bewegt, als wäre es ein Gebet. An diesen Nachmittagen liebe ich sie mit riesengroßer Kinderliebe.
    Ich reibe mir die Augen, die feucht geworden sind.
    »Alles okay, Dotti?«
    »Klar. Lass uns weitermachen.«
    Gemeinsam füllen wir das restliche Profil aus. Während Lorenz geduldig Antwort um Antwort anklickt, entsteht in meinem Kopf ein immer deutlicheres Bild von meinem literarischen Äquivalent. Er besitzt eine baufällige, aber geschickt renovierte Villa außerhalb Wiens, so eine mit riesigen Hecken und einem Garten voll alter Bäume. Im Sommer erntet er eigene Nüsse, die er mit einem altmodischen Nussknacker knackt. Er liebt das Geräusch, das sie dabei

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