Nasenduscher: Roman (German Edition)
der Sprechstundenhilfe: »Herr Süßemilch?«
»Ja«, antworte ich, lege meine Frau im Spiegel zur Seite und folge der adretten Mittfünfzigerin in einen kleinen Raum.
»Nehmen Sie doch schon einmal Platz.«
»Danke«, antworte ich und niese abermals.
»Gesundheit.«
»Danke.«
»Frühblüher, was?«
»Nein. Ich tippe mal auf eine Erkältung. Oder eine Hautirritation.«
»Na ja, wenn Sie meinen.« Sie grinst. »Frau Doktor kommt gleich.«
»Okay.«
»Falls Sie ein Handy oder etwas Ähnliches dabeihaben, würde ich Sie bitten, das auszuschalten.«
»Mach ich.«
»Vielen Dank.« Die Arzthelferin schließt die Tür hinter sich, und ich schalte mein Mobiltelefon wie befohlen aus. Dann schaue ich mich um. Das Behandlungszimmer kennt den Begriff Innenarchitekt wohl auch nur aus den Magazinen im Wartezimmer. Vielleicht hat auch Sören bei der Einrichtung seine kleinen, klebrigen Finger im Spiel gehabt. Mit dem Begriff karg würde man jeder Sandwüste unrecht tun. Denn alles, was sich in diesem Raum wiederfindet, ist ein Tisch, zwei Stühle, ein Bücherregal sowie ein mehrschichtiges Modell einer Hautzelle. Hautärzte scheinen es eher steril und schlicht zu mögen. Sei’s drum. Ich bin ja nur wegen meiner Hautirritation hier. In der Ecke steht noch eine seltsame Apparatur mit vielen Hebeln und noch mehr Knöpfen, die ich nicht zuzuordnen vermag. Ein Ultraschallgerät? Hm, braucht man das beim Hautarzt? Könnte aber auch so ein Absauger sein wie bei einem Zahnarzt. Das stünde dann wohl aber auch eher bei einem Zahnarzt. Vielleicht ist es auch nur ein altes Faxgerät. Ich niese erneut und greife zu einem Stapel Flyer, der vor mir auf dem Tisch liegt. Ich angele mir die oberste Infobroschüre und lese mir den Leistungs- und Honorarkatalog der Praxis durch.
Hautkrebsvorsorge 37,54 Euro, Lasern von Warzen 40 Euro, kombiniert mit Videodokumentation von bis zu drei Warzen 79,00 Euro.
Wer zum Teufel lässt sich so was auf Video aufnehmen? Sitzt man dann abends mit Freunden bei Bier und Chips zusammen und schiebt die DVD ein?
»Schaut mal hier, links von dem Skalpell, das ist meine Feigwarze am Arsch. Und jetzt passt auf, zack, weg ist sie, Prost!«
Das Entfernen von Alterswarzen und Fibromen wird ebenfalls im Set angeboten: Drei kosten 30,43 Euro und bis zu sechs 52,68 Euro. Das nenn ich mal ein Schnäppchen. Vielleicht gibt’s ja auch noch eine Art Happy Hour, bei der man noch eine Verödung eines Besenreisers umsonst dazubekommt. Oder einen Wettbewerb, bei dem man etwas gewinnen kann.
Gesucht wird: die Warze des Jahres! Erster Preis: ein chemisches Peeling sowie eine Unterspritzung Ihrer Zornesfalte!
Ich lege den Flyer zurück und warte weiter. Die Minuten verstreichen, und gleichzeitig steigt mein hypochondrisches Gedankengut. Ebenfalls ein Faszinosum innerhalb von Arztwänden. Sobald man eine Praxis betritt, werden Worst-Case-Szenarien durchgespielt, die ihresgleichen suchen.
Zahnarzt: Doppelte Wurzelbehandlung mit offenem Kanal und Implantatsetzung.
Urologe: Hepatitis, Tripper und ’ne Blasenentzündung zum Mitnehmen.
Augenarzt: Grauer Star oder irgendeine andere Vogelart, die in meinem Auge nichts verloren hat.
Hautarzt: Bösartiger Hautkrebs oder heute wohl eher Lepra.
Allerdings dürfte die letzte Epidemie in Frankfurt schon zwei, drei Wochen her sein. Und auch mein Weg von zu Hause zur Uni nach Bockenheim führt nicht wirklich an den Armenvierteln Kalkuttas vorbei.
Ich lenke mich ab, indem ich die aufgereihten Buchrücken im Regal studiere. Dermatologie und Phlebologie, Therapie der Hautkrankheiten … ui, die hat mindestens zweitausend Seiten und wirkt nicht wirklich beruhigend auf meine Ängste. Darauf einen heftigen Nieser. Hatschi!
»Gesundheit, Herr Süßemilch. Sie sind doch Herr Süßemilch, nicht wahr?« Eine nette, attraktive und vor allem gut gelaunte Frau Dr. Tina Glombik, wie ihr Namensschild verrät, tritt in diesem Moment herein. Das hat man selten. Schon fühle ich mich etwas weniger leprös.
»Genau, Robert Süßemilch. Der bin ich.«
Wir reichen uns die Hände, lächeln kurz. So einfach funktioniert menschliche Kommunikation.
»Okay. Was genau Ihr Problem darstellt, brauchen wir wohl nicht näher zu erörtern, denke ich.«
»Äh, warum?«
»Na ja, so wie Sie und Ihre Nase aussehen, fällt die Diagnose nicht gerade schwer.«
»Erkältung?«, unternehme ich einen letzten verzweifelten Versuch.
»Sind Sie kurzatmig?«
»Ja.«
»Fast asthmatisch?«
»Na ja
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