Nasenduscher: Roman (German Edition)
Richtung.
»Hast du was gesagt, Tiff?«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht reibt sie sich den Handrücken.
»Äh, nein. Nein, es ist nichts.«
Zufrieden spieße ich das zurückeroberte Stückchen Fleisch auf und kaue es genüsslich.
»Das Filet ist perfekt. Nicht zu durch und nicht zu blutig.«
Blutig ist wohl auch Tiffs Stichwort, denn sie überprüft, ob die Gabelspitzen blutende Wunden auf ihrer Hand hinterlassen haben.
»Du, ich mache mich mal kurz frisch, okay?«
»Na klar.«
Tiff steht auf und geht unter den gierigen Blicken von siebzig Männeraugenpaaren in Richtung der Damentoiletten. Ich schätze, dass etwas kaltes Wasser die kleinen Kratzer beruhigen sollte. Mir tut es ein kleines bisschen leid. Aber nur ein kleines bisschen.
44
Die Model-Diät
N ach zehn Minuten kommt Tiff bereits wieder zurück. Die vier roten Pünktchen zieren noch immer den Handrücken, haben ansonsten aber keinen bleibenden Schaden verursacht. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man denken, es sei eine allergische Reaktion. Und damit kenne ich mich bestens aus.
»So, ich bin wieder da.«
»Wow, das ging aber schnell.«
»Ja, ich habe nur kurz eine Model-Diät gemacht.«
»Du hast in der kurzen Zeit eine Diät gemacht?«
»Keine richtige. Aber eine Model-Diät, du weißt schon.«
Tiffany tut so, als ob sie sich einen Finger in den Hals steckt, und gibt leise Würgelaute von sich. Jetzt verstehe ich. Die Model-Diät besteht aus dem Erbrechen des soeben Verzehrten.
»Eine kleine Brechpause, du verstehst?«
»Machst du das immer?«
»Fuck, no.«
Erleichtert lehne ich mich zurück. Bei ihr weiß man ja nie.
»Na, Gott sei Dank. Ich dachte schon, du machst das nach jedem Essen.«
»Nein.« Tiff schüttelt energisch ihre blonde Mähne. »Nach achtzehn Uhr erbreche ich nur noch Pasta und Kohlenhydrate.«
Nach dem superleckeren Essen möchte ich mir mal gepflegt einen reinknistern. Draußen am Pooldeck reihen sich bereits einige weiß gewandete Rentner um eine Champagnerbar. Die meisten erwecken in ihrem weißen Umhang aber nur den traurigen Eindruck, dass Hui Buh, das Schlossgespenst, seine Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßeltern eingeladen hat. Dazu spielt sich eine Steeldrumband die Finger für das schläfrige Partyvolk wund.
Tiff und ich haben Stellung an der Cocktailbar am Pool bezogen. Auch wenn sie eine kotzende Mundräuberin ist, für das Vernichten von hochprozentigem Alkohol ist sie wie geschaffen. Ich habe schon an unserem ersten Martini-Abend erkannt, dass an ihr ein 1A-Trinkhallen-Alki verloren gegangen ist. Was hätten die Apfelweinwirtschaften in Sachsenhausen einen Spaß an ihr. Jedenfalls haben wir uns seit diesem Martini-Event einige Male an einer der vielen Bars getroffen. Wir saufen, die Männer gaffen ihr hinterher und fragen sich, was ich wohl habe, was sie nicht haben. Danach geht jeder wieder seiner Wege in die Kabine. Ich meist stark schwankend, Tiff mit der Präzision eines Drehmomentschlüssels. Trotz ihrer für jeden unübersehbaren weiblichen Attribute hat sie einen Zug wie ein russischer Kartoffelschnapsbrenner und ist zudem auch nie verlegen, einen kernigen Satz über den Ozean zu schicken. Dieser beginnt meist mit dem Wort Fuck und endet auch meist wieder mit diesem. Heute heißt unser alkoholischer Begleiter des Abends White Russian . Ein teuflisches Gemisch aus Rum und Milch, weil es so schön zum heutigen Motto passt. Wir haben bereits einige dieser weißen Plörren intus und sind in eine fachliche Diskussion über den inflationären Einsatz von Viagra in Pornos vertieft, als Tiff plötzlich mit der flachen Hand auf die Theke haut.
»Fuck …« Sie verdreht die Augen, und ich bin mir nicht sicher, ob es an meiner letzten Äußerung zu den blauen Pillen liegt oder an dem Babyphone, das sie mir entgegenstreckt. »Ich muss mal kurz in meine Kabine, Rob. Jerry ist aufgewacht.«
Kein Problem , signalisiere ich ihr und bin froh über eine kleine Alkoholpause. Sie steht auf, zieht wie immer die Blicke aller Umstehenden auf sich und verschwindet mit ihrem White Russian im Aufzug.
Unverzüglich nimmt ein Herr ihren Platz neben mir ein, den ich zunächst kaum beachte. Doch dann lässt mich eine Kleinigkeit beschämt zusammenzucken. Der Mann ist blind. Er hat seinen Stock neben mir abgestellt und tastet mit seinen Händen über den Tresen. Ruhig bleiben, Robert. Er kann dich ja nicht sehen. Er weiß nicht, dass du nur vorgibst, blind zu sein. Er kann es ja nicht riechen. Sei einfach ein ganz normaler Gast,
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