Nasenduscher: Roman (German Edition)
Tasten. Dann greift er zum Mikro und kündigt mich an.
»Next on stage. All the way long from Frankfurt, Germany. Robert, with the song › I just called to say I love you‹ from Stevie Wonder.«
Romeo zieht mich die zwei Stufen zur Bühne hinauf, und ich taste nach dem Mikrofonständer. Da ich so besoffen bin, brauche ich das noch nicht einmal zu spielen. Nach zwei Fehlgriffen habe ich das Mikro gefunden und blase eine mächtige Alkoholfahne aus meinen Backen. Die ersten Töne des bekannten Songs erklingen, und mir fällt ein, dass meine gespielte Blindheit es nicht unbedingt glaubhaft erscheinen lässt, wenn ich den Text vom Karaokebildschirm ablese. Also wackele ich wie der leibhaftige Stevie mit dem Kopf hin und her, um so davon abzulenken, dass ich immer wieder Teile des Texts spicke. Und schon intoniere ich in feinstem Germanen-Englisch die ersten Zeilen.
»No new years day to celebrate …«
Ich gebe nun Vollgas. Wenn ich schon so ein Lügenarschloch sein will, dann auch richtig. Nun bekommt ihr den Prototypen eines Blinden.
»No chocolate covered candy hearts to give away …«
Das wird mein großes Abschiedskonzert, und danach werde ich alles aufklären. Bei Tiffany, beim Kapitän und bei Hans-Herrmann Völker.
»No first of spring …«
Ich werde mich demaskieren.
»No song to sing …«
Und auch Jana werde ich alles beichten, und ihrem Chef und überhaupt allen …
»In fact here’s just another ordinary day …«
Mir wird schwindelig, und ich drohe nach vorn in die Lautsprecherboxen zu fallen.
»I just called to say, I love you …«
Schließlich knie ich mich beim Refrain zu Romeo auf den Boden und singe ihn mit schmachtender Stimme an. Es beginnt eine Schmuseorgie, die mir die allergischen Tränen in die Augen treibt. Die restlichen gut vier Minuten ziehe ich jedoch trotz aller Tränen und Niesreizattacken routiniert wie eine alte Rampensau durch. Am Ende der Robert-Süßemilch-Show wische ich mir ein paar Tränen von der Wange und hoffe, dass mir meine Atemwege diese Entgleisung nachsehen werden. Allerdings ist mir kotzübel, als endlich der Schlussakkord erklingt und ich mich in flehender Pose auf den Knien wiederfinde.
Nun entfaltet der White Russian seine volle Wirkung. Das Zeug ist brachial. Gerade als ich mich zum Kotzen von der Bühne in Richtung Toilette verabschieden möchte, brandet ohrenbetäubender Applaus auf. Tatsächlich. Die Bar ist ebenso brechend voll wie ich. Während ich in meinem tranceartigen Zustand diese Jahrhundertballade geträllert habe, hat sich die Bar mit begeistert dreinblickenden Menschen gefüllt, die nun schier ausrasten. Viele sind ob der tränenreichen Liebesballade für Romeo selbst zu Tränen gerührt. Sie skandieren irgendwas, das sich in meinen Ohren wie Catman anhört. Dann dröhnt wieder die Stimme des DJ s aus den Boxen.
»The blind catman Rob. Unbelievable. Heartbreaking. Great job, Rob!«
Volltrunken und im Rausch des Erfolgs badend werfe ich Kusshände ins Publikum und ziehe Romeo hinter mir von der Bühne. Auch Tiff ist begeistert und erhebt sich wie der Rest des Saals zu Standing Ovations. Und noch immer hallt es wie aus einer einzigen Kehle.
»Catman, catman …«
Ich verneige mich vor der tobenden Menge und bin froh, dass ich mich nach fünf torkelnden Metern neben Tiff wieder in den Sessel fallen lassen kann. Ihre Schminke ist verlaufen. Ich glaube, sie hat geweint. Jedenfalls wischt sie sich unter den Augen das Make-up aus dem Gesicht und klatscht sich beinahe die Finger wund.
»Das war das Herzzerreißendste, was ich jemals gesehen habe, Rob.«
»Danke«, lalle ich in ihre Richtung.
»Wie du und Romeo …«
»Ja, schon gut.«
»Wie ihr zwei trotz aller Schicksalsschläge …«
»Ich hab’s verstanden, Tiff.«
»Und wie du dann noch geweint hast … also, das nenne ich wahre Liebe.«
Genervt verdrehe ich die Augen. Diese Amis … Kaum kniet man sich vor ein Haustier und singt, ist man schon reif für die Oprah-Winfrey-Show . Der DJ möchte derweil den nächsten Sänger ansagen, doch noch immer sind die Catman-Catman-Rufe nicht gänzlich abgeklungen.
Durch meine dunklen Gläser schaue ich Tiff an und frage: »The blind catman? Sag mal, was ist das denn für ein Scheiß?«
»Das ist kein Scheiß. So nennen sie dich hier schon seit dem ersten Tag. Wusstest du das nicht?«
»Nein. Eigentlich nicht. Hicks .« Wieder meldet sich der White Russian . »Tiff, ich muss mal kurz raus vor die Tür. Ein wenig frische Luft
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