Nasenduscher: Roman (German Edition)
trink schnell deinen Drink aus und verzieh dich. Ich setze das Glas an und kippe den weißen Inhalt in einem Zug weg. Ich stelle es zurück und bin schon fast außerhalb seiner Reichweite, als es in meiner Nase kribbelt.
Hatschi!
»Gesundheit.«
Volltreffer. Zu allem Überfluss ist er also auch noch Deutscher.
»Danke.«
»Oh, wie schön, Sie sind auch aus Deutschland?«
Ich bleibe stehen und mache auf dem Absatz kehrt. So leicht lässt er mich also nicht von der Angel.
»Ja, aus Frankfurt, um genau zu sein.«
»Ich komme aus Braunschweig. Hans-Herrmann Völker mein Name, und mit wem habe ich das Vergnügen?«
Herr Völker streckt seine Hand irgendwo ins Nichts, und ich ergreife sie. Hm. Ob das schon ein Fehler war?
»Robert Süßemilch.«
»Schön, einen Landsmann zu treffen. Sind Sie das erste Mal auf Kreuzfahrt, Herr Süßemilch?«
»Ja. Das erste Mal. Ich bin wegen der guten Seeluft hier. Das soll gut gegen meine Pollenallergie sein.«
Herr Völker lacht auf. Dann räuspert er sich und nickt.
»Ja, ist bei mir genauso. Ich mache das jedes Jahr im April.«
»Ernsthaft?«
»Aber ja. Das ist bereits meine vierzehnte Kreuzfahrt. Es gibt nichts Besseres. Hier werden Sie betreut, gefüttert und sehen noch was von der Welt. Na ja, in meinem Fall hört und schmeckt man noch etwas von der Welt.«
»Sie sind blind, oder?«, frage ich heuchlerisch.
»Ja.«
»Und hilft Ihnen das?«
»Blind zu sein?«
»Nein, hilft die Seeluft gegen die Pollen?«
»O ja. Und seit es Sonderangebote für behinderte Menschen gibt, ist es finanziell sogar fast ein Schnäppchen.«
»Was?«, rufe ich aus. »Es gibt Sonderangebote für Blinde?«
»Ja.« Herr Völker zeigt sich überrascht. »Bis zu fünfzig Prozent Ermäßigung pro Buchung. Warum überrascht Sie das so? Wollen Sie nächstes Jahr vielleicht auch blind werden?«
Herr Völker lacht und schiebt sich einige Erdnüsse in den Mund.
Ich schweige lieber.
»Wissen Sie, ich sage mir immer, wenn der Herr dir schon das Augenlicht nimmt, dann nutze wenigstens die Vorteile, die sich dadurch bieten.«
In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß. Wie konnte ich das nur machen? Dieses falsche Spiel spielen? Und nun schickt mir Gott höchstpersönlich diesen Mann an die Theke, um mir zu zeigen, welch ein Arschloch ich bin. Am liebsten würde ich vor Hans-Herrmann Völker auf die Knie fallen und ihn um Verzeihung bitten. Doch selbst dazu fehlt mir der Mut. Stattdessen stottere ich kläglich: »Ja, das … das sehe ich genauso.«
45
Stevies Rückkehr
I n der Karaokebar versuchen sich bereits einige Passagiere an Liedgut von den Bee Gees und Elvis. Manche von ihnen erhaschen sogar etwas Applaus des spärlichen Publikums. Die meisten überzeugen jedoch mehr durch einige virtuose Tanzschritte, die wohl von den dünnen Stimmen ablenken sollen. Es gelingt ihnen nicht wirklich. Als bisheriges Highlight stellt sich eine gewisse Emma Franklin aus Baltimore heraus, die einen Tina-Turner-Song performt und dem Star zumindest altersmäßig in nichts nachsteht.
Tiffany hat es sich nicht nehmen lassen und ist, nachdem sie kurz bei Jerry war, wieder in die Partyzone des Schiffs eingetaucht. Nun sitzen wir hier bereits seit einer guten Stunde in der ersten Reihe der Fizz Lounge, wo heute das Karaokeevent stattfindet. Wir frönen weiter dem White Russian, und ich bin dankbar, dass er mich spürbar betäubt und mir so die Bilder von Hans-Herrmann Völker etwas aus dem Hirn spült. Mittlerweile schaut selbst Tiff etwas glasig aus ihren Augen, was daran liegen könnte, dass sie in der gleichen Zeit noch drei Bier und vier Schnäpse getrunken hat. Auch die Gespräche reduzieren sich seit etwa einer halben Stunde auf ein Minimum an gelallten Worten.
»Alles okay, Rob?«
Ich recke beide Daumen in die Höhe.
»Alles super, Tiff. Lass uns noch einen trinken.«
»Okay. Ich bestell noch eine Runde.«
Genau das mag ich an Tiffany. Nicht lang schnacken, Kopf in Nacken. Und auch mein Pegel schießt nach einigen weiteren Drinks nach oben. Die nächsten Interpreten singen genauso schlecht wie ihre Vorgänger, doch irgendwie finde ich sie alle mit einem Mal klasse und gröle jeden bekannten Refrain eifrig mit. Dann verfestigt sich ein Gedanke in mir. Ich will jetzt nur noch eins: Singen!
Schon torkele ich mit Romeo los und lalle dem DJ meinen Wunsch zu. Meine Titelwahl ist nicht gerade sehr einfallsreich, aber passend. Der DJ nickt – halb gerührt, halb besorgt – und tippt etwas auf seinen
Weitere Kostenlose Bücher