Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
geblieben, das halb versunken in der Wüste lag. Eine Furcht, so tief wie er sie noch nie erlebt hatte, packte ihn. Welche Rettung konnte es geben, wenn der Feind, gegen den sie kämpfen mussten, der Himmel war?
»Und was war mit den Sonnen?«, fragte er schließlich mit leiser Stimme.
Verba klopfte die Pfeife an seinem Stiefel aus. »Tagelang wagte ich es nicht, den Blick zu heben. Schon der Gedanke an den Himmel versetzte mich in Panik.«
»Und dann? Was sahst du, als du dann doch hochgeschaut hast?«
»Nichts. Es war alles so wie vor der Katastrophe, die Sonnen schienen, als sei nichts geschehen. Und Cetus’ Helligkeit war wieder auf das normale Maß zurückgegangen.«
Nervös rieb sich Saiph das Gesicht. »Bitte sag mir die Wahrheit: Diese Klimaveränderungen damals, die Überschwemmungen, die Hitze … war das so, wie wir es heute erleben?«
Verba fuhr sich mit einer Hand durch das weiße Haar. Die Antwort schien ihm schwerzufallen. »Was soll ich dir sagen, Saiph? Seit damals sind zehntausend Jahre vergangen. Manche Phänomene scheinen mir gleich zu sein, andere waren damals mit Sicherheit noch schlimmer.«
Saiph fühlte sich alles andere als beruhigt. Er erinnerte sich an die Aufzeichnungen, die er und Talitha vor einigen Monaten im Kernbezirk des Klosters Messe gelesen hatten, sah wieder die Zeichnungen vor sich, die Seiten mit den Bildern der beiden Sonnen, auf denen Cetus, je weiter man blätterte, immer größer und heller wurde. »Aber angefangen hat es so wie in unseren Tagen auch, nicht wahr?«
»Ich denke schon. Es scheint vorherbestimmt, dass sich der Zyklus wiederholt.«
»Und wir alle werden das gleiche Ende wie die Assyten nehmen. Das heißt, wenn wir nichts dagegen unternehmen.«
»Was meinst du mit ›unternehmen‹, Junge? Weißt du etwa, was man tun muss, um die Bewohner Nashiras vor diesem Schicksal zu bewahren?«
»Ich nicht, aber du. Im Kloster Messe habe ich das Protokoll deines Verhörs gelesen.«
Verba lachte verächtlich auf. »Ach, das mit diesen Priesterinnen, die so überzeugt waren, die Wahrheit vor allen verbergen zu können, um so ihren einfältigen Glauben zu schützen? Ketzer … so haben sie mich genannt. Aber wie auch immer, jedenfalls habe ich nicht behauptet, ich wüsste, was sich dagegen machen ließe.«
»Aber du weißt, was sich anbahnt, und hast eine ähnliche Katastrophe schon einmal überlebt. Diese Erfahrung kann uns bestimmt weiterhelfen. Vielleicht müssen wir an den Ort zurückkehren, wo du damals erlebt hast, dass Cetus Nashira verglühen ließ. Du hast erzählt, dass du und Khler damals in der Hauptstadt der Assyten wart, um über die Dinge zu beraten, die vor sich gingen, weil die Gelehrten dazu wichtige Erkenntnisse gewonnen hatten.«
»Ja, das ist richtig. Aber vor zehntausend Jahren waren von dieser Hauptstadt nur noch Trümmer übrig. Und selbst die werden mittlerweile verschwunden sein.«
»Bist du denn nie mehr dorthin zurückgekehrt?«
Verba schüttelte den Kopf. »Nein, das hätte ich nicht ertragen. All das, was ich einmal geliebt habe, so zerstört zu sehen, nein, das konnte ich nicht …«
»Führ mich hin! Vielleicht finden wir dort eine Antwort.«
»Mich interessiert keine Antwort mehr.«
»Auch nicht, wenn sich dadurch Nashira retten ließe?«
»Ach, Saiph, ich werde die Katastrophe auf alle Fälle überleben. So wie ich geschaffen bin, habe ich Cetus’ Wüten schon einmal widerstanden und werde es auch wieder tun.«
»Dennoch verlierst du alles, was um dich herum ist, was du kennst, diese ganze Welt.«
»Gibt es denn auf dieser Welt etwas, das sich zu retten lohnen würde? Ich sehe bloß Gewalt und Tod, Versklavung und Zerstörung. Vielleicht habt ihr es nicht besser verdient, als ausgelöscht zu werden.«
Saiph blickte Verba lange an und sah ihn jetzt so, wie er es noch nie getan hatte: Dieser Mann lebte schon so lange, dass die heute existierenden Rassen für ihn nur unbedeutende Geschöpfe waren, deren Dasein nicht länger als ein Fingerschnippen währte. Gleichzeitig erkannte Saiph hinter diesen gleichgültigen, durch den Rauch leicht verschwommenen Gesichtszügen eine ausweglose Einsamkeit.
»Beim letzten Mal hast du alles verloren. Dieses Mal könnte es anders sein. Du musst nur den Mut finden, es zu versuchen.«
»Vom Mut musst du mir nichts erzählen«, antwortete Verba barsch. Er lehnte sich so weit zu ihm vor, dass sich ihre Gesichter fast berührten. »Du hast doch keine Ahnung, was ich schon alles erlebt habe,
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