Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
das Rätsel, das sie die vergangenen Monate über begleitet hatte.
»Schau nicht hinein, das tut zu weh«, sagte sie zu Saiph. Ihr Herz schlug schnell und heftig, denn sie spürte die Ungeheuerlichkeit dieser Schändung, und dieses Wissen erregte und ängstigte sie zugleich.
Saiph war ganz ruhig. Er hatte nicht direkt in die beiden Sonnen geschaut und schirmte die Augen gegen das übermäßige Licht ab, das durch das Eis um ein Vielfaches verstärkt wurde, sodass das gesamte Panorama um sie herum erstrahlte.
»Komm, je rascher wir hier wegkommen, desto besser für uns«, sagte Talitha kurz entschlossen und marschierte auf die Eiswüste zu.
Das Terrain war glitschig, aber bald hatten sie es heraus, wie sie, ohne ständig zu fallen, vorwärtskommen konnten. Das größere Problem war das Licht, das so stark war, dass es sie schon nach wenigen Augenblicken blind gemacht hätte. So opferten sie ein wenig Stoff ihrer Hemden, die sie unter der Oberkleidung trugen, rissen schmale Streifen ab und banden sie sich vor die Augen. Das Gewebe war so durchsichitg, dass sie den Weg vor sich erkennen konnten, aber auch fest genug, dass es das gleißende Licht dämpfte.
Die Sonneneinstrahlung war aber nicht nur schädlich für die Augen. Talitha mit ihrer dunklen Gesichtsfarbe litt weniger darunter als Saiph, der wie alle Femtiten eine blasse Haut hatte, die von den sengenden Strahlen sogleich angegriffen wurde. Seine Wangen röteten sich und juckten entsetzlich, und an manchen Stellen bildeten sich die ersten schmerzhaften Blasen. Doch ungerührt setzte er seinen Weg fort und tat so, als wäre alles in Ordnung.
Doch Talitha entging nicht, was er durchmachte. »Wie du siehst, ist das keine so großartige Gabe, Schmerz empfinden zu können«, sagt sie zu ihm.
Sie griff in ihren Quersack und suchte zwischen den Fläschchen, die sie aus Verbas Unterschlupf mitgenommen hatte, bis sie eines mit einer fettigen Substanz fand.
»Los, komm mal her«, fordert sie ihn auf und fügte, betont kühl, hinzu: »Sonst hältst du uns bald wieder auf.« Sie verrieb die Salbe überall, wo Saiphs Haut es nötig hatte. »So besser?«
»Ja, schon … aber du musst dir wirklich keine Gedanken um mich machen. Es ist harmlos«, antwortete Saiph.
»Du verbrennst!«, stieß sie hervor. Es ärgerte sie, dass Saiph es nicht lassen konnte, seinen wahren Zustand herunterzuspielen. Offenbar war seine Furcht, dass an den Erlöser-Sagen der Femtiten etwas dran sein könnte, so groß, dass er sich weigerte, die Veränderungen wahrzunehmen. Doch auf diese Weise litt er nur umso mehr und setzte sogar sein Leben aufs Spiel.
Auch das Klima bereitete ihnen immer größere Probleme. Tagsüber stiegen die Temperaturen, und manchmal wurde es so warm, dass sie ins Schwitzen gerieten und ihre Stiefel beim Gehen fingertief im Wasser versanken, das sich über dem Eis bildete. Nachts jedoch, wenn Miral und Cetus hinter den Bergen versanken, fiel die Temperatur abgrundtief, das Wasser gefror wieder, und die Kälte kroch ihnen in die Glieder. Ihre Felle waren hilfreich, aber sie genügten nicht. Häufig wehte ein so scharfer Wind, dass noch die kleinste Öffnung zwischen ihren Kleidern zu groß war und die Kälte umbarmherzig eindrang. Obwohl sie völlig erschöpft waren, fanden sie keinen Schlaf. Und auch das Essen war längst zum Problem geworden.
Saiph behalf sich mit dem Thurgankraut, das praktisch überall wuchs. Während er es kochte, musste er aufpassen, dass er die Dämpfe nicht zu tief einatmete, und wenn er dann davon aß, hielt er sich die Nase zu, weil es gekocht widerwärtig schmeckte. Immer schwerer fiel es ihm, das Zeug hinunterzuwürgen, und seiner abgemagerten Gestalt nach zu urteilen, war es auch keineswegs sehr nahrhaft.
Für Talitha war es noch schwieriger, etwas Essbares zu finden. Das Thurgankraut war für ihren Organismus nicht geschaffen, und abgesehen von einigen winzigen weißen Insekten lebten auf dem Eis keine Tiere.
Immerhin stießen sie hin und wieder auf niedrige Talareths, die vereinzelt in der Eiswüste standen. Dann versuchte Talitha, irgendein Tier zu erlegen, das im Geäst hauste. Doch wenn sie mit Glück eines erwischte, war die Beute meistens so winzig und mager, dass sie sich mit zwei, drei Bissen zähem Fleisch begnügen musste.
»Wenn mich Cetus nicht umbringt, bringt mich dieses eklige Zeug hier ins Grab«, stöhnte sie, nachdem sie wieder einmal so ein Tierchen geröstet und verzehrt hatte, eine Fledermaus mit sechs Beinen,
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