Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Gesichtes war unter einer Holzmaske verborgen, wie sie alle Kombattantinnen trugen, jedoch der Länge nach durchgesägt.
Megassa selbst führte sie in den Tempel. Es war der Tempel von Lakesi, einer Stadt im Osten des Reichs des Sommers, auch dies eine Ausnahme vom Protokoll, das eigentlich vorsah, dass eine Priesterin in ihrem Herkunftskloster ordiniert werden musste.
»Ich stehe über den Regeln«, hatte der Graf verächtlich jeden Einwand entkräftet. Es war ihm wichtig, eine weitere Demonstration seiner Stärke zu liefern. Das Geheimnis seiner Autorität lag auch in diesem absoluten Willen zur Macht und in seiner Fähigkeit, andere zu beeindrucken.
Neben den Priesterinnen, die dort lebten, waren im Tempel auch alle Schwestern vom Kloster Messe versammelt. Ihr Vater aber hatte noch nicht einmal eine Delegation entsandt, die bezeugt hätte, dass die Familie an dieser so wichtigen Feier einer Tochter des Hauses Anteil nahm. Aber Grele war nicht überrascht, als sie den Blick durch den Raum schweifen ließ und niemanden von ihren Angehörigen entdeckte. Ihr Vater hatte noch nie etwas von ihr gehalten: Als jüngstes seiner sieben Kinder, noch dazu weiblichen Geschlechts, war sie politisch völlig nutzlos.
Wie sehr du dich geirrt hast … Du wirst es noch erleben!, dachte Grele, während die Kleine Mutter die rituellen Worte sprach. Die Novizinnengewänder waren ihr schon abgenommen worden, sodass sie in einem dünnen Unterhemd dastand, das ihren Körper nur notdürftig verhüllte. Aber auf diesen Körper konnte sie noch stolz sein, umso mehr nach dem harten Training in der Kombattantinnenausbildung. Athletisch und flink war er, aber auch immer noch zart und weiblich.
Auch ihre Frisur hatte man schon gelöst, und so fiel ihr das goldblonde Haar mit dem zarten rötlichen Schimmer wie ein prächtiger Fächer auf den Rücken.
»Erhebe dich, Schwester«, sprach die Kleine Mutter, und Grele gehorchte, gemessen und feierlich.
Zwei ältere Mitschwestern traten vor und trugen wie eine Reliquie eine rote Tunika herbei, das Gewand der Priesterinnen Alyas.
»Damit die Einkleidung beginnen kann, bekräftige deinen festen Willen, deinen Geist ganz der Göttin Alya zu weihen, ihr jeden Atemzug, jeden Herzschlag zu schenken und deinen Körper allein für sie einzusetzen bis zu dem Tage, da Mira dich für immer in die unterirdische Wohnstatt der Götter heimruft.«
»Ich will es.«
Nun traten die beiden Priesterinnen zu ihr und legten ihr das Gewand an.
»So empfange nun das Gewand der Priesterinnen Alyas. Du wirst es bis zum Ende deiner Tage tragen, als sichtbares Zeichen deiner Zugehörigkeit zu den frommen Scharen der Dienerinnen dieser Göttin.«
Im Vergleich mit dem rauen Leinen der Kombattantinnenkleider war der Baumwollstoff des Priesterinnengewandes hauchzart. Grele genoss dieses wunderbare Gefühl auf der Haut, das für sie etwas von Wiedergutmachung hatte.
»Nun sollst du auch dein Haar so tragen, wie es sich für eine Dienerin Alyas geziemt.«
Rasch und kundig ordneten die Priesterinnen ihre Locken. Nur dort, wo die Riemen der Maske im Nacken zusammengefügt waren, sowie an der Stirn, die halb vom Holz verborgen war, war es etwas schwieriger.
»Willkommen, Grele von Mantela, Priesterin der Alya.«
Sittsam senkte Grele das Haupt, und im Tempel erhob sich donnernder Applaus.
Auf die Zeremonie folgte ein großes Bankett in den Palastgärten des Grafen von Lakesi. Als Verwandter Megassas hatte dieser sein Haus für das Fest zur Verfügung gestellt. Allerdings spiegelte die Qualität der Speisen, die dem Anlass nicht angemessen war, die wirkliche Situation im Reich des Sommers wider. Das Volk litt und hungerte, und auch die Tafeln der Reichen waren nicht mehr so üppig gedeckt, wie man das einmal gekannt hatte. In den kleineren Städten gab es so gut wie kein Wasser mehr, und trotz aller Bemühungen des Landesherren hatte das Reich des Frühlings den Lauf des Flusses Asselho nicht verlegt, wodurch die Felder im Reich des Sommers leichter zu bewässern gewesen wären. Es wurde sogar von Grenzscharmützeln mit Toten und Verletzten berichtet, nachdem Bauern versucht hatten, auf gut Glück Wasser aus dem Reich des Frühlings auf die eigenen Felder umzuleiten. Verschlimmert wurde die Lage durch den Krieg gegen die aufständischen Femtiten. Trotz der drakonischen Strafen, die bereits bei dem bloßen Verdacht auf Verrat drohten, liefen täglich immer mehr Sklaven ihren Herren davon, wobei sie sich zuvor oft noch mit
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