Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
antwortete Megassa.
Grele bebte vor Ungeduld. Sie konnte es kaum glauben. »Seid Ihr sicher? Werdet Ihr es Euch nicht anders überlegen? Schließlich ist sie Eure Tochter.«
»Für mich ist sie gar nichts mehr, auch nicht meine Tochter. Das habe ich dir ja schon gesagt. Sie hat mich enttäuscht und verraten auf jedwede Art, wie man einen Vater enttäuschen und verraten kann. Sie hat gezeigt, dass sie meine Feindin ist, und wie eine Feindin werde ich sie behandeln. Allerdings muss ich eine gewisse Diskretion von dir verlangen.«
»Was meint Ihr damit?«
»Du kannst mit ihr anstellen, was du willst. Sie ist nur Fleisch in deinen Händen. Es muss aber wie ein Unfall aussehen. Wir stehen in der Öffentlichkeit und haben einen Ruf zu verlieren. Solange nicht alles erreicht ist und wir erhalten haben, worauf wir aus sind, müssen wir nach außen hin ein untadeliges Gesicht zeigen.«
Grele nickte. »Gewiss. Ihr könnt Euch ganz auf mich verlassen. Das Einzige, woran mir liegt, ist, sie in die Finger zu bekommen. Alles Weitere wird so verlaufen, wie Ihr es wünscht.«
Megassa lächelte zufrieden. »Wir werden Großes vollbringen, wir beide gemeinsam. Wirklich Großes.«
12
I n der folgenden Nacht hing Talitha lange an dem Gitter über ihrem Kopf und versuchte verzweifelt, es irgendwie aufzubrechen, bis schließlich eine Wache aufmerksam wurde und mit der Lanze nach ihr stieß. Von da an tauchte der Wachmann in regelmäßigen Abständen bei ihr auf und kontrollierte, ob sie sich ruhig verhielt. Ihr blieb also nichts anderes, als zu warten, während die Tage vergingen.
Kontakt zu anderen hatte sie nur einmal am Tag, wenn sie Essen bekam. Aber auch dann richtete die Wache nicht das Wort an sie, sondern ließ ihr die Mahlzeit in einem Blechnapf durch das Gitter in die Grube hinab.
Bei Sonnenuntergang des vierten Tages hörte sie über ihrem Kopf Schritte, die anders klangen als sonst, und durch die unregelmäßigen Vierecke der Holzstäbe sah sie endlich Saiphs Gesicht auftauchen. Er trug die Uniform der Rebellen: schwere Felle von unbekannten Tieren, einen Turban auf dem Kopf und einen dicken Schal um den Hals.
»Ich dachte schon, du hast mich vergessen«, sagte sie nervös, wobei sie sich mit dem Arm am Gitter hochzog und ihr Gesicht so nahe wie möglich zu ihm heranbrachte.
Saiph schaute sich misstrauisch um. »Das glaube ich, und du kannst dir nicht vorstellen, wie leid mir das tut. Aber ich musste mir etwas Verrücktes einfallen lassen, nur um hierherkommen und mit dir sprechen zu können. Jedes Mal, wenn ich dich erwähne, strafen sie mich mit einem vernichtenden Blick.«
»Aber du bist doch ihr Held! Kannst du denn nicht verlangen, dass sie tun, was du sagst?«
»Sie führen eben Krieg. Zwar bewundern und achten sie mich, aber nicht in dem Maße, dass sie deswegen ihren Hass auf dein Volk vergessen würden.«
»Hat mein Vater auf ihr Angebot geantwortet?«, fragte Talitha.
»Gerners Unterhändler ist im Reich des Winters eingetroffen.«
»Lass mich raten: Mein Vater hat ihn töten und seinen Kopf zurückschicken lassen.«
»Nein«, antwortete Saiph.
Talitha ließ sich fallen und landete am Boden ihrer Kerkerzelle. Die Knie zur Brust gezogen, saß sie da. »Das heißt, die Verhandlungen laufen noch. Mein Vater will mich zurückhaben … Ich muss fliehen, bevor sie mich nach Talaria zurückschaffen können!«
»Ja, sicher, darüber denke ich auch die ganze Zeit nach. Aber wir sind hier auf einer Insel, das Wasser des Sees ist ätzend, und die wenigen Boote liegen gut bewacht in einem Schuppen beim Rathaus. Wenn ich irgendeine Fluchtmöglichkeit sehen würde, hätte ich dich längst befreit.«
»Hast du noch mehr so erfreuliche Neuigkeiten?«, fragte Talitha gereizt.
»Ja. Ich habe einen Plan. Wir müssen auf dem Weg zur Übergabe die Flucht wagen. Ich habe durchsetzen können, dass ich dich begleiten darf.«
»Nein!«, rief Talitha da aufgebracht. »Ich muss alleine fliehen. Wenn ich dabei getötet werde, bleibst du immerhin übrig und kannst irgendwann die Suche nach Verba wieder aufnehmen.«
»Nein, du darfst nicht sterben, allein würde ich das niemals schaffen.«
Sie schauten sich lange an.
»Erzähl mal genauer, was hast du denn geplant«, gab Talitha schließlich nach.
»Es sind zwei Tagesreisen bis zur Grenze des Reichs des Winters. Dort soll der Austausch stattfinden. Die Rebellen haben die Freilassung einer Anzahl Gefangener verlangt. Das sind zwei Tage, in denen wir uns etwas einfallen
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