Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Waffen und Proviant eindeckten.
Aus all diesen Gründen hatte Megassa seinem Verwandten geholfen und enorme Wasservorräte mitgebracht, bei denen sich alle fragten, wie er sie beschafft haben mochte. Grele hätte diese Frage leicht beantworten können: Seit Jahren sorgte Graf Megassa dafür, dass die Brunnen in den Dörfern um Messe herum austrockneten, weil er ernorme Wassermengen für sich und seinen Palast beanspruchte. Ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, und sie verbarg es, indem sie ihren mit Purpursaft gefüllten Kelch an die Lippen führte. Für sie war es die natürliche Ordnung der Dinge: Die Starken retteten sich auf Kosten der Schwachen, und wer nicht gerissen genug war, sein Überleben zu sichern, war eben dazu verdammt unterzugehen.
Zudem hatte Megassa in letzter Zeit seine politische Macht erheblich ausgebaut. Erst wenige Tage zuvor war er zum Befehlshaber der Streitkräfte im Reich des Winters sowie des Herbstes ernannt worden. Es war eine Ernennung per Akklamation gewesen. Von Anfang an war offensichtlich, dass sich niemand so wie er im Kampf gegen die aufständischen Femtiten hervortat. In aller Eile hatte er eine Streitmacht um sich geschart, hatte darauf gedrungen, dass die Armeen Talarias unter einen gemeinsamen Oberbefehl kamen, und selbst einige erfolgreiche Angriffe inszeniert. Und so hatte es nahegel egen, als der Krieg sich ausweitete, ihn zum Obersten Heer führer zu machen.
Das Fest zog sich bis zum Abend hin, und Grele stellte ihr diplomatisches Geschick unter Beweis. Für jeden Gast hatte sie die passenden Worte parat, ein Kompliment, eine scharfsinnige Beobachtung, und so machte sie das Verstörende der Maske, die ihr halbes Gesicht verdeckte, vergessen.
Es war Megassa selbst, der sie am Tag drauf in seiner von zwei Erddrachen gezogenen Kutsche zurück nach Messe begleitete. Unterwegs holte der Graf irgendwann ein Holzkästchen hervor und entnahm ihm einen Gegenstand, der in ein Samttuch eingeschlagen war. Er wickelte ihn aus und zeigte ihn Grele, der augenblicklich eine Zornesröte ins Gesicht schoss.
Auf dem schwarzen Tuch funkelte ein Dolch, ein Dolch, den sie nur einmal im Leben gesehen hatte, aber niemals wieder vergessen würde: Es war die Waffe, mit der sie eines Nachts, die sie heute zu ihrem vorherigen Leben zählte, von Talitha bedroht worden war. Sogar heute noch spürte sie die Hand, die sie ihr damals auf den Mund gepresst hatte, und das grauenhafte Gefühl des kalten Stahls am Hals. »Wo habt Ihr den her?«, fragte sie mit rauer Stimme.
»Einer meiner Getreuen, der im Reich des Winters stationiert ist, hat ihn mir bringen lassen.«
»Ist sie … in Eurer Gewalt?«
Megassa wickelte die Waffe wieder ein und legte sie in das Kästchen zurück.
»Nein. Ein Femtitenrebell hat ihm den Dolch gebracht, ein Abgesandter, wie er sich nannte. Seine Gefährten haben Talitha wohl im Eisgebirge aufgegriffen.«
Grele fletschte die Zähne. Jede Nacht träumte sie davon, Talitha in die Finger zu bekommen. Würde jemand sie töten, bevor sie das selbst tun konnte, wäre sie untröstlich gewesen. »Was verlangt man von Euch?«
»Sie schlagen mir ein Geschäft vor. Ich soll für die Freilassung eines Viertels der Sklaven in den Eisminen sorgen sowie einiger gefangener Rebellen, die auf ihre Hinrichtung warten. Dafür bekomme ich Talitha.«
»Und was werdet Ihr tun?«
Megassa nahm sich Zeit mit der Antwort und blickte zum Kutschenfenster hinaus. »Mein Ansehen als Befehlshaber unserer Streitkräfte steht auf dem Spiel. Würde ich mich der Forderungen dieser verdammten Sklaven, die sich selbst als ›Neues Volk‹ bezeichnen, beugen, würde meine Autorität Schaden nehmen.«
»Dann wollt Ihr sie ihnen also überlassen?«
»Überlassen?«, brüllte Megassa. »Ich habe eine ganze Arme aufmarschieren lassen, um sie mir zurückzuholen. Ich habe Orea dem Erdboden gleichgemacht. Sie gehört mir. Mir! Und was mir gehört, lasse ich nicht in fremden Händen. Ich werde sie mir zurückholen, aber zu meinen Bedingungen, nicht ihren. Verstehst du?«
Er starrte sie aus derart hasserfüllten Augen an, dass Grele erschrak. »Ja, gewiss«, murmelte sie.
Noch einen Moment ließ er den Blick auf ihr ruhen und schaute dann wieder aus der Kutsche hinaus. »Was mit Talitha geschehen wird, muss unser Geheimnis bleiben. Ebenso wie die Art und Weise, wie ich sie mir zurückzuholen gedenke.«
Grele nickte zufrieden. »Und dann? Was wird dann mit ihr geschehen?«
»Dann gehört sie ganz dir«,
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