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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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plötzliche Furcht zog Talitha den Magen zusammen. Dieser Ort kündete vom Tod.
    Die Sonnen waren schon fast untergegangen, aber das Licht reichte noch aus, um die Lage zu erkunden.
    »Das Dorf scheint völlig ausgestorben zu sein«, sagte Saiph, »es ist wohl der Trockenheit zum Opfer gefallen.«
    »Dann werden wir hier nur schwer etwas Essbares auftreiben«, bemerkte Talitha.
    Sie schlichen weiter bis zu dem Rinnsal, das sicher einmal ein reißender Bach gewesen war, und nun zwischen vereinzelten Schlammpfützen dahinsickerte. Um ihre Trinkflaschen zu füllen, mussten sie das Wasser mit einen Lappen aufsaugen.
Das Mädchen dachte zurück an ihren Garten zu Hause mit den Springbrunnen und auch an die erfrischenden Bäder, die sie nach den harten Übungsstunden bei der Garde erwartet hatten. Sie hatte nie darüber nachgedacht, welch ein Privileg es war, in einem unter Hunger und Durst leidenden Reich immer Wasser zu Verfügung haben.
    »Da sieht man, was Cetus’ Erstarken für Folgen hat«, sagte sie, wobei sie Saiph besorgt anblickte.
    »Und die Trockenheit führt zur Hungersnot«, ergänzte dieser. »In Messe habe ich einen Sklaven kennengelernt, der von seinem Herrn verkauft worden war, einem Grundbesitzer aus dem Norden. Der hatte früher viele Felder besessen, doch dann kam die Trockenheit und hat ihm alles genommen.«
    Talitha stellte sich die Familien vor, die in diesem Ort gelebt hatten, und fragte sich, wo sie wohl sein mochten. Vielleicht waren sie schon tot, hatten sich auf die Wanderung gemacht, um irgendwo anders noch mal neu anzufangen, und waren dabei ums Leben gekommen.
    Zwischen dürrem Gestrüpp gingen sie weiter bis zu den ersten Häusern. Die Außenwände waren verrußt. Es war vollkommen still, doch in der Luft lag noch ein feiner, säuerlicher Geruch: Das Feuer war noch nicht lange verraucht.
    Vorsichtig blickten sie sich um und näherten sich einem der Häuser. Die Tür stand weit offen, das Dach war den Flammen zum Opfer gefallen. Sie traten ein und sahen drei leblose Körper am Boden liegen. Der Gestank, den sie verströmten, schnürte ihnen die Kehlen zu. Talitha kämpfte gegen einen Brechreiz an.
    Die wenigen Möbel, die das Feuer verschont hatte, lagen umgeworfen am Boden, die Anrichte war völlig ausgeräumt
worden. Saiph überwand seinen Ekel und betrachtete die Leichen von Nahem. Bevor es ihm den Magen umdrehte, stand er wieder auf.
    »Die sind nicht durch das Feuer gestorben«, sagte er, »denen hat jemand die Kehle durchgeschnitten.«
    Talitha, die auf der Schwelle stehen geblieben war, schaute ihn fragend an.
    »Sie wurden umgebracht, Herrin. Jemand hat die Vorräte gestohlen und dann Feuer gelegt.«
    Sie gingen weiter zu den anderen Häusern. Das gleiche Bild: Asche, leergeräumte Speisekammern, Leichen. Trotz Angst und Ekel zwangen sie sich, überall nachzusehen. Sie brauchten unbedingt etwas zu essen, aber noch nicht einmal Reste fanden sie. Wer auch immer für dieses Gemetzel verantwortlich war, hatte ganze Arbeit geleistet und nicht den kleinsten Kanten Brot übrig gelassen.
    Zu enttäuscht, um auch nur ein Wort miteinander zu wechseln, traten sie wieder ins Freie. Aus ihren Mienen sprach die Verzweiflung. Das nächste Dorf lag gut eine Tageswanderung entfernt: Das würden sie nicht schaffen.
    Als sie schon wieder auf dem Weg aus dem Dorf hinaus waren, fiel Saiph ein etwas abseits gelegenes Gebäude auf, das ganz anders als die übrigen war, nämlich aus Stein und auf wunderbare Weise unzerstört. Auf dem zylindrischen Korpus saß eine runde, eher laienhaft gefertigte Kuppel, auf der das Symbol der Göttin Alya, die blutrote Blume, angedeutet war. Es war ein kleiner Tempel.
    Langsam traten sie näher. Als Talitha die Hand an die Tür legte, gab sie auch schon quietschend nach.
    In dem runden schmucklosen Innenraum standen einige Bänke um einen steinernen Altar herum, der schlicht und
kaum verziert war. Nur das Antlitz der Göttin Talia war eingraviert, mit groben, ungeschliffenen Zügen, bei denen nicht klar war, ob sie der unkundigen Hand des Urhebers geschuldet waren oder ob dieses bäuerliche Aussehen beabsichtigt war. Es war nichts weiter als kleiner Dorftempel, dem keine Priesterin vorstand, ein Ort, den die Bewohner morgens zum Beten aufgesucht hatten, um sich Kraft für den Tag zu holen oder eine Gnade zu erflehen. Orte wie dieser, so hatte Schwester Dorothea Talitha erklärt, wurden nur an den höchsten Feiertagen für spezielle Zeremonien gebraucht.
    Einen Augenblick

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