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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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sich am Wegesrand bequem. Talitha entfuhr ein Stöhnen, als sie Stiefel und Strümpfe auszog. Die Fußsohlen waren gerötet, die Knöchel aufgeschürft, die Zehen voller Blasen. Wieder überkam sie das entsetzliche Gefühl, sich auf ein Unternehmen eingelassen zu haben, für das ihre Kräfte und Fähigkeiten nicht ausreichten. Ihre Beine waren daran gewöhnt, von bequemen Kutschen gefahren zu werden, und ihre Fußsohlen hatten ihr Leben lang nichts anderes
als die Marmorböden des väterlichen Palastes kennengelernt. Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben: Schwäche war ein Luxus, den sie sich nicht mehr erlauben konnte.
    Saiph erbot sich, die erste Wache zu übernehmen, und sie stimmte gerne zu und fiel bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als sie wieder erwachte, merkte sie, dass Saiph die ganze Nacht Wache gehalten hatte.
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«
    »Du hast so fest geschlafen, und außerdem habe ich deine Füße gesehen«, antwortete er mit einem verständnisvollen Lächeln.
    »Aber wir müssen doch beide marschieren, und wenn du zu erschöpft bist, kommen wir keinen Schritt voran. Du warst die ganze Nacht wach, wie willst du denn weiterlaufen?«
    »Ich war ja nicht die ganze Nacht wach ... Ab und an bin ich auch eingenickt.«
    »Umso schlimmer. Was, wenn plötzlich Gardisten aufgetaucht wären? Oder wenn uns irgendwelche Halunken im Schlaf überfallen hätten?«
    Saiph schien Talithas Unmut nicht zu verstehen. Reglos, mit verwirrtem Blick, in der Hand eine Frucht, die er ihr gerade reichen wollte, stand er vor ihr.
    »Ich wollte dir doch nur einen Gefallen tun ...«
    »Aber das war ein Fehler«, erwiderte sie wütend, riss ihm die Frucht aus der Hand und schleuderte sie zu Boden. »Wenn wir unser Ziel erreichen wollen, musst du aufhören, mich zu beschützen. Ich kann selbst auf mich aufpassen. Das habe ich ja wohl bewiesen!«
    Ohne etwas zu erwidern, nahm Saiph ihre Vorwürfe hin,
was seine Herrin allerdings noch mehr verärgerte, als wenn er sich verteidigt hätte. Sie hob die Davim-Frucht auf und biss zornig hinein.
    »Dann hast du eben Pech gehabt. Wir wandern heute ohne zu rasten, bis die Sonne untergeht.«
    Saiph ging nicht darauf ein. »Vor dem Abend müssten wir das Dorf Tolica erreichen«, sagte er, während er auf ihre Karte schaute. »Dort versorgen wir uns mit Proviant. Wir haben nur noch einen Kanten Brot.«
    Talitha erschauderte. Auf ihrem verlassenen holprigen Weg fühlte sie sich sicher, sie konnte sich vormachen, dass ihre Reise bloß ein Abenteuer war und keine Horden von Gardisten und Kombattantinnen sie in ganz Talaria jagten. Zudem fürchtete sie insgeheim, wieder in eine Situation zu geraten, in der sie das Schwert ziehen musste.
    Während all der Zeit im Kloster hatte sie dieses Schwert bewundert, es vor allem aber als Kunstwerk betrachtet, als ein Symbol für ein Leben, das sie für immer verloren fürchtete. Nun hatte sie mit Verbas Schwert Blut vergossen, und so war es das sichtbarste Zeichen für das, was aus ihr geworden war: eine Mörderin. Schwer, wie eine unerträgliche Last, lag es auf ihrem Rücken, und sie scheute sich sogar, sein Heft zu berühren.
    »Ist das unbedingt nötig?«, fragte sie.
    »Wir haben nichts mehr zu essen. Wie sollen wir sonst weiterkommen?«
    Talitha seufzte. »Ich will niemanden mehr umbringen«, murmelte sie.
    »Das glaub ich, aber wir haben keine andere Wahl«, antwortete Saiph. »Dieses Risiko müssen wir eingehen.«

    Wenn die junge Gräfin früher einmal Messe verlassen hatte, dann nur, um die großen Städte der Reiche des Sommers und des Frühlings zu besuchen, aber das auch nur selten. Deswegen hatten sie überhaupt keine Vorstellung davon, wie ein kleiner Ort, ein Dorf oder Ähnliches aussah, und was sie jetzt vor sich sah, war tatsächlich vor allem eins: etwas völlig Unerwartetes.
    Tolica war nicht mehr als eine winzige Ansammlung niedriger Häuschen aus Holz und Stroh, die sich um einen nicht mehr als zweihundert Ellen hohen Talareth mit einer lichten, welken Krone drängten. Die wenigen, kränklichen Blätter, die noch an den Ästen hingen, waren gelblich und mit braunen Flecken übersät. Die Wurzeln suchten Halt in einem ausgetrockneten Boden voller tiefer Risse. Ein fast vollkommen versiegter Wasserlauf, an dessen Ufern nur vereinzelt gelbliche Grasbüschel wuchsen, führte am Dorf vorbei, und Fliegenschwärme schwirrten nervös um die schlammigen Wasserstellen herum.
    Kein Laut drang zu ihnen.
    Eine

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