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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Betttuch überzogenes Strohlager war das Bett, auf dem der von Anstrengung gezeichnete Körper ruhte. Man hätte ihn für tot halten können, so flach ging sein Atem; doch als Saiph genau hinsah, erkannte er, wie sich sein Brustkorb hob und senkte und dass der Mann tief und fest schlief. Er war ein Talarit mit bereits vollkommen schwarzem Haar; sein Gesicht war runzelig, die Haut von der Sonne gefleckt, die Wangen waren eingefallen und die Hände schwielig und geschwollen von der schweren Arbeit. Offenbar führte dieser Mann ganz allein diesen Hof, der, wie die Weite der verdorrten Felder vermuten ließ, einmal groß und ertragreich gewesen war. In der Zeit, bevor die Geißel der Trockenheit über dieses Land gekommen war, hatten hier bestimmt über zwanzig Sklaven geschuftet, von denen kein Einziger mehr übriggeblieben war. Saiph fühlte sich unwohl. Früher im Palast hatten seine Kameraden, wenn sie von einem verarmten Talariten erfuhren, immer jubiliert und auf das Unglück des Sklavenhalters angestoßen. Ihn hatte das eher abgestoßen und traurig gemacht. Und so überkam ihn plötzlich Mitgefühl
mit diesem alten Mann auf dem Strohlager, der fast so heruntergekommen wie ein Sklave war, auch wenn er niemandem gehorchen musste und selbst noch über sein Leben bestimmen konnte. Aber waren Hunger und Armut nicht eigentlich die grausamsten Herren?
    Was mache ich hier?, dachte er verstört. Er kam sich vor, als schände er dieses Hauses.
    Du sorgst für dein Überleben, ermutigte er sich selbst, so wie es sein muss, so wie es alle tun.
    Er ballte die Fäuste, trat kurz entschlossen zur Truhe und hob leise den Deckel an. Zum Vorschein kamen einige gefaltete Kleidungsstücke, Überreste eines früheren Lebens: ein langes Gewand, eine Frauenjacke, sogar ein Säuglingskleidchen. Und dann Männerkleidung, verstaubt, doch sorgsam zusammengelegt, und ganz unten zwei Umhänge, ein Andenken an die Zeit, als es im Reich des Sommers zuweilen noch nötig war, sich wärmer anzuziehen. Saiph versetzte es einen Stich, und dennoch griff er in die Truhe und holte die zwei Umhänge hervor. Er wollte sich schon abwenden, als ihn ein unerwarteter Instinkt dazu anhielt, die Kleider, die er durchwühlt hatte, wieder ordentlich zusammenzulegen.
    Im Küchenschrank fand er Brot, Käse, Trockenfleisch und andere Konserven. Unwillkürlich dachte er daran, was für ein Gesicht der Alte machen würde, wenn er seine Anrichte geplündert vorfand.
    Das ist das Recht des Stärkeren, hörte er wieder die Stimme in seinem Innern, aber sie konnte seine Gewissensbisse nicht völlig vertreiben.
    Er nahm weniger mit, als sie eigentlich brauchen konnten, nicht zuletzt, weil er so schnell wie möglich aus dem Haus hinaus wollte, kam ins Straucheln, als er aus dem Fenster
kletterte, und landete mit dem Kopf voraus im Gras vor der Mauer. Schnell rappelte er sich auf und rannte davon, wie um eine Last loszuwerden, die er auf seinen Schultern spürte, eine Beklemmung, die ihm die Brust einschnürte. Er schlug den Weg zurück zum Baumpfad ein und rannte immer schneller, um nur vom Hof wegzukommen, als er plötzlich etwas sah.
    Es war Zufall, denn fast wäre er in seiner Hektik dagegen geprallt, gegen einen Holzpfahl, an dem mit zwei Nägeln ein Pergamentblatt angebracht war, auf dem deutlich und gut lesbar mit Tinte »Lebendig« geschrieben stand. Und daneben die Höhe eines Kopfgeldes: Hundert Gold-Nephem. Eine ungeheure Summe. Und darüber war, fast über das gesamte Blatt, ein Gesicht mit niederträchtigen Zügen und hartem Blick dargestellt. Der Name darunter lautete: Saiph, Eigentum des Klosters der Stadt Messe.
    Der Schock war so groß, dass er einen Moment lang schwankte. Er kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, wenn er sie wieder öffnete, würde die Realität eine andere sein. Aber so war es nicht. Dies war das Gesicht, das er nun für alle Talariten trug, ein Gesicht, in dem er sich kaum wiedererkannte, das Konterfei eines Verbrechers. Aber war es nicht auch das Gesicht, mit dem er gerade in das Haus eines alten, von aller Welt verlassenen Mannes eingebrochen war und ihn beraubt hatte?
    Das bin ich nicht, es ähnelt mir kein bisschen, sagte er sich wütend, und wusste dabei sehr genau, dass er Unrecht hatte. Mit zitternden Händen riss er das Pergament von dem Pfosten und rannte weiter, zum Baumpfad zurück.

26
    T alitha schlief noch, als Saiph wieder zurück war, aber die Sonne würde bald aufgehen.
    Vom Laufen erhitzt, setzte er sich neben sie

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