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Nashira

Nashira

Titel: Nashira
Autoren: L Troisi
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ab.
    »Ach, wenn wir doch nur schon in Orea bei meinen Großeltern wären«, flüsterte Saiph. »Der hätte mich fast erkannt. Wahrscheinlich hat er irgendwo den Steckbrief gesehen.«

    Talitha wollte etwas sagen, doch Saiph legte ihr die Hand auf den Mund.
    »Psst, wir müssen noch etwas durchhalten. Bis Orea ist es noch weit.«
    Das Mädchen seufzte ergeben und nickte.

    Sechs Tage marschierten sie fast ununterbrochen, mit nur einigen wenigen Stunden Schlaf und unter der ständigen Drohung durch die Peitsche. Talitha kam das alles wie ein einziger endloser Albtraum vor. Um sie herum todkranke Sklaven, die sich mühsam über die glatten Bretter schleppten, während ihren Peinigern der geringste Anlass recht war, die Peitsche sausen zu lassen. Einmal griffen sie sich einen kleinen Jungen heraus und bestraften ihn mit fünf Peitschenhieben, weil er nicht schnell genug gelaufen war, sodass seine Mutter ihn danach auf den Schultern tragen musste. Talitha merkte, dass sie noch nie im Leben einen solch tiefen Hass wie auf diese Sklavenjäger empfunden hatte, noch nicht einmal auf die Priesterinnen, die ihr Gründe genug gegeben hatten. Diese Männer waren noch schlimmer. Mit ihren leeren, kalten Augen, dem gemeinen Grinsen, der ständig niedersausenden Peitsche waren sie nichts anderes als seelenlose Bestien. Und besonders der Anblick des einen, der ihr das Schwert abgenommen hatte und es stolz am Gürtel trug, brachte ihr Blut zum Kochen.
    Im Morgengrauen des siebten Tags tauchte Orea am Horizont auf. Talitha hatte noch nie einen Talareth in solch jämmerlichem Zustand gesehen. Die unteren Äste waren völlig kahl, und nur die höheren trugen noch vereinzelte Nadelbüschel. Viele Äste waren abgeknickt, baumelten im Leeren
und drohten beim nächsten Windstoß ganz abgerissen zu werden. Die Häuser waren alle mehr schlecht als recht hochgezogene Holzbaracken, mit einer einzigen Ausnahmen, einem Steinhaus, das nicht allzu weit vom Stamm des Talareths entfernt stand und in dem wahrscheinlich die Sklavenjäger unterkamen.
    Ein halb zugefrorener Bach teilte den Ort und umspülte die Wurzeln des Baums. Dennoch war die Ansiedlung ziemlich dicht bewohnt, mit einigen hundert Einwohnern, die sich auf relativ engem Raum drängten. Imposant erhob sich im Hintergrund die breite, zerklüftete Kette des Eisgebirges, die ganz aus Eiswänden geformt war und hier und da von tiefen Schluchten durchbrochen wurde. Unter den Talareths, deren Äste das gesamte Massiv überlagerten, erahnte man hohe, gezackte Gipfel, und zwischen den steilen Baumpfaden erkannte man zahlreiche dunkle Höhlen, mit denen die Bergflanken durchlöchert waren. Die Farben waren außergewöhnlich: Das Grün der Talareths wechselte sich mit einem bläulichen Weiß ab, das an schattigen Stellen in ein dunkles Blau und an den Spalten sogar fast in Schwarz überging. Obwohl das Licht schwach war, glitzerten die Berge, und als Talitha den Blick abwandte, tanzte ein Meer von Sternchen vor ihren Augen.
    Unser Zuhause, für wer weiß wie lange , dachte sie und erschauderte.
    Mit Peitschenhieben wurden sie vor das Steinhaus getrieben, wo die Bewacher jeweils zehn Gefangenen die Ketten lösten und sie zu ihrer Hütte führten.
    »Los, rein, euer Vorarbeiter kommt euch dann holen«, sagte einer der Sklaventreiber, wobei er Saiph und Talitha in ihre Baracke stieß und die Tür verschloss.

    Drinnen waren vielleicht zwei Dutzend Personen – Männer, Frauen und Kinder, ausgezehrt von Hunger und Kälte, gegen die sie sich nur mit einigen Lumpen schützen konnten. Einige trugen noch nicht einmal Schuhe, sondern hatten sich Binden um die Füße gewickelt.
    Saiph wandte sich an einen Mann, der ihm etwas weniger mitgenommen vorkam.
    »Ich suche Hergat«, sagte er
    Der Sklave schaute ihn misstrauisch an. »Niemand kommt hierher, um jemanden zu suchen. Wer hierherkommt, kommt zum Sterben.«
    »Wo kann ich ihn finden?«, ließ Saiph sich nicht beirren.
    Der Mann kicherte traurig. »Der lebt in einer der letzten Hütten am Ortsrand, Richtung Westen. Es ist die einzige rote Hütte. Aber wie stellst du dir das vor? Du kannst nicht einfach hingehen, wohin du willst.«
    Saiph hörte ihm überhaupt nicht zu. Er ergriff Talithas Arm und verließ mit ihr die Hütte.
    Am Wegesrand lagen Säcke, die mit irgendetwas gefüllt waren. Saiph hob zwei davon auf und reichte einen seiner Herrin.
    »Nimm, und komm mit«, sagte er.
    Sie gingen den Weg zurück, bis sie wieder in der Nähe des Steinhauses
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