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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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schüttelte den Kopf. Die Feuerwehr würde Personalien aufnehmen. Nashville hatte keine Personalien. Er existierte nicht, genauso wenig wie seine plötzliche, unerklärliche Panik.
    Da war kein Messer, dachte Svenja.
Die Messer sind nicht der Auslöser für die Panik.
    Eine Menge Leute standen jetzt vor dem Turm, niemand saß mehr an den Tischen. Jemand begann, Fotos zu machen.
    »Wenn er nicht kommt runter, einer muss zu ihn rauf«, stellte Kater Carlo fest.
    Thierry nickte. »Gibt es hier eine Leiter?«
    »Eine so lange Leiter gibt es nirgendwo«, sagte das Mädchen mit dem Tablett.
    Friedel seufzte. »Ich gehe«, sagte er dann. Und fügte hinzu: »Sagte die Blindschleiche und kroch aus dem Schuhgeschäft.«
    Svenja schüttelte sich.
»Was?«
    »Er geht«, sagte Kater Carlo.
    Und Friedel ging. Er streifte seine Schuhe ab, ging zu dem Regenrohr hinüber und begann, daran hochzuklettern. Svenja schluckte. Sie hatte nicht gewusst, dass Friedel solche Dinge konnte. Aus dem Publikum flogen ihm jetzt Anfeuerungsrufe zu. »Weiter! Noch ein Stück!«
    Aber es dauerte, bis er den Dachfirst erreichte. Er musste das Rohr loslassen, um sich an der waagerechten Regenrinne festzuhalten und einen Klimmzug zu machen und aufs Dach zu kommen … Svenja schloss die Augen.
    »Warum macht er das?«, flüsterte sie.
    »Weil er dich liebt«, flüsterte Katleen zurück.
    »Quatsch. Deswegen klettert man keinen Turm hinauf, von dem man zu Tode stürzen kann …«
    »Mach die Augen auf«, sagte Katleen. »Er ist oben. Da sitzen sie nebeneinander im Himmel, deine beiden Männer.«
    Svenja blinzelte vorsichtig. Ja, dort oben kauerten sie, dicht nebeneinander. Sprach Friedel mit Nashville? Was hatte er vor? Er konnte ihn nicht hinuntertragen …
    Die Menge auf dem Platz vor dem Turm war ganz still.
    Und schließlich kletterte Nashville zurück über die Regenrinne und abwärts.
    Er fiel nicht.
    Die Menge atmete auf wie ein einziges Lebewesen und sah hoch zu Friedel, der langsamer nachkam. Svenja krallte die Finger ineinander, während er über die Regenrinne hinunter zum Rohr kletterte. Er schaffte es. Doch auf der Mitte der Strecke verließ ihn die Kraft. Er ließ los – ließ sich den Rest des Rohres hinunterrutschen, und diesmal klatschten die Leute. Danach verlief sich die Menge. Nur Nashville und Friedel standen noch in der plötzlichen Leere.
    Als Svenja auf Nashville zuging, wich er zurück.
    Friedel starrte seine Handflächen an. Dort gab es keine Haut mehr. Da war nur noch rohes, rotes, blutiges Fleisch. Svenja merkte, wie ihr übel wurde.
    »Die … Regenrinne«, sagte er mit belegter Stimme. »Man sollte so was nicht so schnell runterrutschen.«
     
    Friedel fuhr nicht auf seinem eigenen Fahrrad zurück. Katleen nahm ihn auf ihren Gepäckträger. Er konnte sich nicht festhalten, nicht mit den Händen, er legte nur die Arme um ihre Taille.
    »Armes Schwein«, sagte Katleen.
    Nashville zögerte, doch dann kletterte er auf Svenjas Gepäckträger. Und so fuhren sie von Hohenentringen zurück – ein besiegter Haufen Abenteurer. Die Bäume in den Obstwiesen winkten mit ihren Ästen, doch niemand dachte daran, was man in ihrem Schatten für Dinge tun konnte. Was konnte man auch mit rohem Fleisch an den Händen tun? Gar nichts.
    »Was war das?«, fragte Svenja. »Warum bist du vor mir zurückgewichen? Und warum bist du da hochgeklettert? Kannst du es mir erzählen?«
    »Es … es war wieder Nacht«, sagte Nashville.
    »Nacht?«
    »Die Nacht mit Sirja. Ich habe noch einmal gesehen, wie sie gefallen sind. Und das Messer. Es ist immer so. Da ist etwas, und … dann ist es Nacht. Und ich laufe weg. Aber was soll ich denn tun? Ich kann ihr doch nicht helfen! Er ist viel größer als ich! So groß wie ein Baum …«
    »Natürlich«, sagte Svenja, »natürlich konntest du ihr nicht helfen. Ich versuche nur, herauszufinden, was es ist, das dich zurückwirft in diese Nacht. Ist es ein Bild? Ein Geräusch? Ein Wort?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Nashville.
    Und dann fuhren sie den letzten Berg hinab, und Kater Carlo und Thierry breiteten auf ihren Rädern die Arme aus und flogen. Und Friedel streckte seine blutigen Hände in den Wind und flog mit ihnen. Als Svenja sich umdrehte, hatte auch Nashville die Arme ausgebreitet und die Augen geschlossen. Auf seinem Gesicht lag ein Lächeln. Irgendwo am Ende des Berges, in der Stadt, wartete das Haus Nummer drei auf sie, wartete ein neues Zimmer mit neuer Luft.
    Alles war gut.
    Für den

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