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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sich im Stillen eine Idiotin. Sie waren hergekommen, um ihn abzulenken, und jetzt hatte sie auf dem Weg seine Erinnerungen an die Österbergnacht noch einmal hervorgezerrt.
    Es nützte sowieso nichts, ihn nach der Wahrheit zu fragen. Er hatte sich in der Wahrheit verfangen wie in einem Netz und bekam die Knoten nicht heraus. Ein Riese? Ein Angreifer mit Flügeln?
    In jedem Fall wusste Svenja jetzt eines: Es war Sirja gewesen, die das Messer gezogen hatte. Dieses Detail hatte richtig geklungen.
    Sirja, die Löwin, war mit ihrem eigenen Messer getötet worden, und dieses Messer lag irgendwo im Haus Nummer drei.
    Mit welchem Messer war der Zugfütterer dann umgebracht worden? Mit einem anderen Taschenmesser? Taschenmesser gab es viele.
    »Hey, Nashville«, sagte Kater Carlo. »Kennst du die Spiel mit Würfel und Schokolade? Geht auch bestimmt mit Kuchen.« Er holte einen Würfel aus der Tasche. »Habe ich gelernt von Thierry«, fuhr er fort. »Muss man viele, viele Sache anziehen, und wenn man würfelt Sechs, man muss anziehen ganz viele Sachen und darf essen, bis andere macht Sechs. Wir nehmen meine Hemd …« Er zog das Hemd aus. »Und Sonnebrille französische …« Er nahm Thierry seine Sonnenbrille weg. »Und … komische Schal von Friedel.« Er schnappte sich Friedels gelb-grün-blaues Batiktuch, nickte zufrieden und schüttelte den Würfel in seinen großen Händen.
    Eins. Friedel würfelte, Svenja würfelte, Nashville rührte sich nicht. Katleen würfelte, Kater Carlo würfelte wieder – niemand hatte eine Sechs.
    Da drehte Katleen den Würfel einfach so auf Sechs, rief »Halleluja!« und schnappte sich Tuch, Brille und Hemd. Sie zog die drei Dinge so eilig an, dass sie sich in einem Ärmel verhedderte und sich nicht mehr rühren konnte, und als Friedel eine ehrliche Sechs warf, riss er Katleen die Sachen weg, knotete sich die Ärmel des Hemdes um den Hals, verband sich mit dem Tuch die Augen und setzte die Sonnenbrille darauf. »Ich sehe keinen Kuchen«, sagte er.
    Und Svenja dachte, dass dies eine Vorstellung war, bei der höchstens ein dreijähriges Kind lacht. Aber als sie eine Sechs würfelte und das Tuch als Turban um ihren Kopf schlang, grinste Nashville. Und er nahm den Würfel und machte mit. Sie wurden lauter und lauter bei ihrem Spiel, würfelten schneller und schneller.
    Erst als der Teller leer war, sahen sie sich um. Alle anderen Leute im Biergarten starrten sie an. Eine ganze Schulklasse aus dreizehn- oder vierzehnjährigen Jungen saß mit offenen Mündern da. Svenja sah Nashville an. Nashville grinste noch breiter. Und dann brachen sie alle zusammen in ein kindisches, befreiendes Gelächter aus.
    Als sie fertig gelacht hatten, murmelte Nashville etwas von »die Toilette suchen gehen«.
    Svenja sah ihm nach, wie er durch eine Tür neben dem Turm verschwand. Er ging nicht wie jemand, der gerade von einer Beerdigung kommt. Er ging wie jemand, der von einem bescheuerten Spiel kommt.
    Sie legte ihren Kopf an Katleens Schulter.
    »Ihr seid großartig«, sagte sie.
    Katleen lächelte und fuhr ihr übers Haar. »Das wissen wir.«
     
    Aber.
    Aber Nashville kam nicht zurück. Schließlich stand Svenja auf, um ihn suchen zu gehen. Der Biergarten summte und redete immer noch vor sich hin, die Burgmauern warfen die Sonne zurück, das Licht des Abends war weich und warm. Nashville war nicht auf der Herrentoilette. Er war nirgendwo.
    Beim Hoftor stand die milchgesichtige Schülergruppe im Kreis. Svenja fragte sich, ob sie ebenfalls ein Spiel spielten, ein pädagogisches und sinnvolles Spiel sicherlich … obwohl die Lehrerin nicht in der Nähe war. Moment.
    Sie trat näher und sah über ihre Schultern. In der Mitte des Kreises standen drei Jungen, die sie kannte: die Jungen aus dem Anlagenpark. Und dort stand noch jemand. Eine kleine, magere Person mit verfilztem Haar. Sie erstarrte.
    Misch dich nicht ein, das ist seine Sache. Misch dich nicht ein …
    Sie schluckte. Zwei der Jungen hielten Nashvilles Arme fest; der dritte, größte stand vor ihm.
    »So was macht man einfach nicht«, sagte er leise. »Auf einen Zwanziger falsch rausgeben … ts, ts. Was für ein Glück, dass du zufällig heute hier bist. Also: Einen Zehner krieg ich.«
    »Ich hab keinen Zehner«, sagte Nashville.
    Der Junge griff in Nashvilles Taschen und machte eine Show daraus, sie zu durchsuchen. »Oho!«, rief er. »Was haben wir denn hier?«
    Was er hochhielt, war kein Geldschein, sondern ein Foto. Das zweite Automatenbild von

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