Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
zuzuhören.
»Haus Nummer drei … Klingt wie ein Spielfilm.« Gunnar legte eine Tafel fair gehandelte Schokolade auf die Theke. Er sah noch müder aus als sonst, und der Blick, mit dem er die bunt gestreiften Hängematten im Fenster ansah, war sehnsuchtsvoll. »Wie hast du es gefunden?«
»Es hat mich gefunden. Ein besetztes Haus. So wie das in der Bahnhofstraße. Es ist schön da, und wir zahlen fast nichts. Bis auf das bisschen Strom. War das nur die Schokolade bei dir?«
Er nickte, legte die Münzen hin und stand einen Moment lang unschlüssig da, als suchte er nach einem Grund, noch zu bleiben. Nashville ließ eine Glaskette durch seine Finger gleiten, verloren in dem leise klimpernden, durchsichtigen Geräusch. Es war niemand anders im Laden. Svenja kam hinter ihrer Theke hervor und trat neben Gunnar, um mit ihm aus dem Fenster zu sehen.
»Ist das Leben immer noch Mist?«, fragte sie leise.
Er lächelte. »Es geht immer alles irgendwie. Juliettas Vater … Neulich habe ich es geschafft, mit ihm ein Glas Wein zu trinken und ganz entspannt auszusehen.«
»In dem schönen Haus am Neckar? Mit dem perfekten Garten mit den perfekten Zwillingsfeen?«
Gunnar lachte. »Ja. Sie sind den ganzen Sommer da.« Er sah zu Nashville hinüber, und Nashville sah Gunnar an; durch eine Glasperle hindurch, die er sich vor ein Auge hielt. »Sie sind sehr anders als er. Weißt du inzwischen mehr?« Er sprach jetzt sehr leise. »Hast du noch mal mit … wie heißt sie … Nancy gesprochen? Geht es ihr gut?«
»Ja«, sagte Svenja. »Ich glaube schon. Du … denkst immer noch, sie wissen es.«
Gunnar nickte. »Hast du mal darüber nachgedacht, dass es einer von ihnen selbst sein könnte?«
Sie wollte etwas erwidern. »Unsinn« oder »Wieso das denn?«, aber sie erwiderte nichts, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür, und mit einem Schwall peruanischer Volksmusik gaukelte ein blassblauer Windhauch von draußen in den Laden, ein Windhauch von vollendeter Schönheit.
»Julietta«, sagte Gunnar.
Svenja beeilte sich, wieder hinter ihre Theke zu kommen – als hätte sie etwas Verbotenes getan. Julietta hob eine ihrer schmalen, dunklen Augenbrauen und lachte, vielleicht ein wenig bemüht.
»Wie kommt es, dass man dich in der letzten Zeit dauernd in diesem Laden findet?«, fragte sie und schob ihren schlanken Arm durch Gunnars Arm. »Ich wollte zu deinem Café, weil ich dachte, du sitzt da wieder einsam und arbeitest und ich könnte dir für einen halben Kaffee Gesellschaft leisten …«
»Der Grund ist hier.«
Gunnar zog sie sachte mit sich vor die hohe Vitrine, nahm eine Kette und legte sie Julietta um, eine Kette aus roten Korallen und matt glänzenden Flussperlen. Weiß und rot, Blütenblätter und Blut auf Juliettas sonnenbrauner Haut. »Die Sachen hier passen alle besser zu dir als das sterile Zeug, das wir uns beim Juwelier angesehen haben. Sie fertigen auch Ringe …«
Julietta trat vor den Spiegel mit den kleinen Vögelchen, und Svenja sah sich nach Nashville um, der eben noch dort gestanden hatte. Er war nirgends zu sehen.
»Schau«, flüsterte Gunnar. »Schau dich an. Du bist wunderschön.«
»Aber die Sachen hier sind zu teuer«, sagte Julietta leise. »Ich brauche keinen Firlefanz. Nur einen einfachen Ring, ohne Stein. Du musst niemanden beeindrucken. Komm. Komm mit raus an die Luft.« Sie streifte die Kette ab, legte sie zurück und nickte Svenja zum Abschied zu.
»Weißt du«, hörte Svenja sie sagen. »Ich wäre gar nicht hereingekommen, wenn Nils dich nicht durch die Scheibe gesehen hätte. Er war bei uns zu Hause, weil er irgendwas mit Papa besprochen hat, wegen der Verbindung, und dann hat er mich begleitet … Er steht noch draußen und wartet.«
»Worauf?«, fragte Gunnar trocken. »Auf einen Kuss oder darauf, dass du gleich ihn heiratest statt mich?«
Julietta tat so, als hätte sie das nicht gehört. Sie schwebte hinaus auf die Straße, hellblau, schwerelos, nur ein Gedanke. Svenja seufzte.
»Man müsste so schön sein wie Julietta«, sagte sie. »Es wäre natürlich zu einfach. Aber trotzdem.«
»Du bist auch schön, Svenja«, sagte Nashville. »Viel schöner als sie.«
Sie hob den Kopf und entdeckte ihn in einer der Hängematten im Fenster.
»Himmel, komm da runter«, zischte sie. »Das ist garantiert nicht erlaubt!«
Er kletterte aus der Hängematte.
»Du bist auch schön«, wiederholte er. »Du bist …« Sie spürte den Wortwasserfall, der kam. Aber Nashville stoppte die
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