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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Junge zwischen den Zeilen hatte recht gehabt. Dinge bedeuteten nichts.
    An diesem Morgen warf Svenja Ballast ab, während Nashville schlief. Sie behielt nur die Medizinbücher,
Andersens Märchen
und ein paar Sachen zum Anziehen. Das violette Hemd mit Nashvilles Sammlung. Und Nashvilles eigene wenige Kleider. Außerdem ihren Kulturbeutel und die Tasse. Alles, was sie nicht brauchte, legte sie in den Koffer: Das
Kamasutra
(lächerlich). Den Reiseführer von Tübingen (noch lächerlicher), die Schneekugel (jenseits von lächerlich) und tausend andere Dinge. Am Ende schloss sie den Koffer und überantwortete ihn der Neuen Ammer. Sie sah zu, wie er davontrieb.
    Es war eine Beerdigungszeremonie, natürlich. Sie beerdigte die alte Svenja.
    Die neue war leichter und freier.
    Nashville wachte auf und setzte sich neben sie, um gemeinsam mit ihr den Bach hinunterzusehen.
    »Guten Morgen«, sagte sie. »Wir leben noch.«
    Er nickte und lächelte.
    »Du meintest gestern, ich wäre jetzt eine von euch«, sagte Svenja. »Es stimmt. Ich besitze nichts mehr. Irgendwer hat nachts mein Portemonnaie und das Handy geklaut. Es ist verrückt, aber … ich bin beinahe froh darüber.«
    Nashville sah nicht aus, als wäre er froh. Er seufzte. »Komm. Ich spiele ein bisschen Akkordeon, und wir verdienen uns ein Frühstück.
Brot vom Vortag

    »Wie?«
    »Es gibt eine Bäckerei, die so heißt. Rate mal, was sie verkauft. Es kostet nur die Hälfte.«
    Sie setzten sich mit dem Akkordeon auf die Treppe der Stiftskirche, Nashville spielte, und Svenja zog sich die Kapuze ihrer Regenjacke ins Gesicht, damit niemand sie erkannte. Merkwürdig. Man war auf einmal auf der anderen Seite.
    »Es bringt Glück, uns was zu geben«, sagte sie zu einem älteren Herrn, der einen Moment lang bei ihnen stehen blieb. »Alle Penner können ein wenig zaubern. Wenn Sie uns was geben, dürfen Sie sich etwas wünschen. Im Stillen.«
    Der Herr warf ein Fünfzigcentstück in die Tasse aus dem Haus Nummer drei. Er warf es mit Verachtung.
    »Warum machst du das, Mädchen?«, fragte er. »Du bist jung und gesund. Und dein kleiner Bruder hier gehört in die Schule. Geh und arbeite. Die Welt besteht aus Geben und Nehmen. Manche Leute glauben, es reicht, nur zu nehmen, aber so funktioniert das Spiel nicht.«
    Vor
Brot vom Vortag
stand eine Schlange. Svenja entdeckte ein paar Studenten, die sie flüchtig kannte. Eine Menge Rentner. Und ein paar Menschen zwischen den Zeilen. Eine sah aus wie Nancy, aber nur von Weitem. Svenja hatte nie so genau darauf geachtet, wie Penner aussahen. Sie hatte nicht bemerkt, wie viele von ihnen es gab, selbst hier in der Postkartenstadt.
    Während sie in der Schlange warteten, rauchten sie ihre letzte Zigarette. Zusammen.
     
    Und dann erinnerte sie sich daran, dass sie einen Histo-Kurs zu besuchen hatte. Sie ging mit ihrem Trekkingrucksack hin, der jetzt halb leer war. Sie trug, wie Nancy, alles bei sich, was sie besaß.
    Als sie aufs Fahrrad stieg, fand sie es plötzlich erstaunlich, dass niemand das Rad geklaut hatte. Vermutlich war es wertlos.
    »Nashville? Wo finde ich dich?«
    Sie hatte ihn das nie gefragt; er war immer wieder zu Hause aufgetaucht. Aber jetzt, wo es kein Zuhause mehr gab, war die Frage essenziell. Sie durften sich nicht verlieren.
    »Ich hole dich ab«, sagte er.
    Friedel war nicht im Histo-Kurs. Sie fragte ein paar von den Kathrins und Katharinas. Niemand wusste, wo er steckte. »Habt ihr euch gestritten?«, fragte eines der kleinen Mädchen. »Ich dachte, ihr seid zusammen?«
    »Nein«, sagte Svenja. Zu beiden Fragen.
    Unter dem Mikroskop sah sie an diesem Tag seltsame Dinge. Eines der Präparate enthielt Engelsfedern, ein anderes hatte das Muster von Rost auf einer Dose. Oder war es Rost auf einem alten Dolch? Ein drittes bestand aus dem runden Glutlicht einer Taschenlampe, deren lange Strahlen um sich griffen wie tastende Arme in der Dunkelheit. Die Dozentin erzählte etwas von Hirnschnitten mit Purkinje-Zellen. Svenja glaubte ihr nicht.
    Nashville stand pünktlich vor der Tür. Die Kathrins und Katharinas warfen ihm befremdete Blicke zu. Es war Svenja egal. Sie sah kurz zur HNO hinüber, doch die Stühle der Cafete waren vor dem Regen nach drinnen geflohen. Dann ließ sie Nashville auf ihren Gepäckträger klettern, fuhr den Berg hinunter und spürte den Wind.
    Der Wind war umsonst und auch zwischen den Zeilen vorhanden, genau wie die Sonne und das lockend steile Abwärts der freundlichen Straße. Die wichtigen Dinge

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