Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
schon gesagt, dass meine Eltern es für überflüssig hielten, dass ich studieren wollte. Man denkt, Eltern wären stolz. Meine sind es nicht. Auch die Sache mit Julietta … Sie glauben, ich will etwas Besseres werden, sie glauben, ich sehe auf sie herunter. Ich will nur etwas schaffen. Ich meine …« Er lachte, aber nicht glücklich. »Es hat ja ganz gut geklappt bis jetzt, oder? Ich habe das Studium geschafft, ich bin mit der schönsten Frau aus meinem Semester verlobt …«
    Sie ließen den Satz in der Unterführung stehen, und für eine Weile sagte keiner von ihnen etwas, während seine Bedeutung sich im Dunkeln entfaltete wie die Flügel einer großen, schweren grauen Motte.
    »Das heißt … Julietta ist nur Teil deines Plans, etwas zu schaffen? Etwas zu beweisen? Du liebst sie gar nicht.«
    Die Motte stürzte ab und verendete auf dem Betonboden.
    »Quatsch«, sagte Gunnar schroff. »Das war nicht ernst gemeint.«
    In diesem Moment hätte etwas geschehen müssen, irgendetwas. Es geschah aber nichts, und sie mussten beide lange die unsichtbare verendete Motte ansehen, so lange, bis Svenja beinahe einnickte.
    »Gunnar«, murmelte sie. »Wie lange bleiben wir?«
    »Noch eine halbe Stunde«, flüsterte Gunnar. »Wir machen das jede Nacht drei Stunden. Länger geht es nicht. Ich muss morgen arbeiten. Ich muss schlafen.« Er klang verbittert. »Ich
muss mehr schlafen.
Man wird so ineffektiv, wenn man nicht genug schläft.«
    »Du brauchst das hier nicht zu machen«, sagte Svenja. »Ich kann das alleine und …«
    Gunnar legte einen Finger an ihre Lippen.
    Da sah Svenja, dass im Eingang der Unterführung ein Schatten aufgetaucht war, ein Scherenschnitt gegen die Helligkeit der Straßenlaternen draußen. Sie setzte sich gerader hin.
    Es ist irgendwer. Irgendwer, der zufällig vorbeikommt. Er geht jetzt weiter.
    Er ging nicht weiter. Er kam näher. Blieb stehen, vor dem Akkordeon. Bückte sich. Svenja suchte nach der Taschenlampe und fand sie nicht. Der Plan war nur eine Abwandlung von Nashvilles Plan unter der Brücke, und ihr Versagen war nur eine Abwandlung ihres Versagens im Traum. Der Schatten war jetzt in die Hocke gegangen.
    »Nashville?«
    Er kannte Nashvilles Namen.
    Und Svenja kannte seine Stimme. Sie brauchte keine Taschenlampe mehr.
    Sie stand auf. »Friedel«, sagte sie leise.
    Friedel fuhr so heftig zusammen, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor in seiner seltsamen Hockstellung. Dann rappelte er sich hoch und sah in ihre Richtung, ohne sie zu sehen; sie stand im Dunkeln. »Svenja? Was ist passiert? Warum …« Er zeigte auf das Bündel am Boden. »Warum wacht er nicht auf?«
    »Weil es nicht Nashville ist«, sagte Svenja.
    Gunnar war jetzt ebenfalls aufgestanden, und sie spürte seine Anwesenheit neben sich, groß und beruhigend. »Hallo, Friedel«, sagte er. »Was genau tust du hier, um diese Zeit?«
    »Ich kam nur vorbei, und da habe ich das Akkordeon gesehen.« Friedel zuckte die Schultern. »Ich dachte, Nashville muss irgendwo in der Nähe sein. Ich war unterwegs zum Mensakeller. Und was macht ihr hier? Mit dem Akkordeon?«
    »Ein Experiment«, sagte Svenja.
    »Aha«, sagte Friedel. Er sah das Akkordeon an, sah Svenja an – schüttelte den Kopf. »Muss ich das verstehen?«
    »Nein«, sagte Svenja.
    »Dann wünsche ich den Herrschaften fröhliches Experimentieren miteinander«, murmelte Friedel.
    Kurz darauf entfernten sich seine Schritte über den Platz, rascher, als sie gekommen waren. Als hätte er es plötzlich ungeahnt eilig.
    »Genug für heute«, sagte Gunnar, als er fort war. »Lass uns nach Hause gehen.«
    Diesmal trug er das Akkordeon. Sie gingen leise nebeneinander her.
    »Glaubst du, Friedel hat etwas mit der Sache zu tun?«, flüsterte Svenja.
    »Schwer vorstellbar«, sagte Gunnar. »Ich kenne ihn natürlich nicht. Wie ist er?«
    »Chaotisch«, sagte Svenja. »Trinkt zu viel. Hat Erinnerungslücken. Ich weiß nicht, was in den Lückenzeiten passiert.«
    »Man geht nicht in einer Erinnerungslückenzeit hin, nur weil man betrunken ist, und bringt Leute um. Ich meine … außer es gibt noch einen anderen Grund.«
    »Ja«, sagte Svenja, und dann fiel ihr etwas ein. »Nils hat etwas Komisches gesagt. Im
Ammerschlag
. Er hat gesagt, du wärst schon verheiratet.«
    »Bitte?« Gunnar blieb stehen. »Wie kommt er denn auf die Idee?«
    »Es stimmt also nicht?«
    »Lass uns nach Hause gehen«, sagte Gunnar. »Nils ist ein kleiner Wichtigtuer, und ich bin verdammt müde. Im Gegensatz zu

Weitere Kostenlose Bücher