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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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der jemand Sirja vor seinen Augen erstochen hatte.
    Svenja tauchte auf und fand den Kopf zwischen den Wellen nicht mehr. Es war zu dunkel. Die Schatten der Bäume malten Trugschlüsse aufs Wasser. Svenja streckte die Hand aus und tastete blind um sich, wollte den Fluss anschreien: Gib ihn her!
Gib ihn wieder her!
Er gehört dir nicht!
    Wenn er ihr für immer entglitten war, würde er im Wehr landen. Sie sah bereits vor sich, wie er dort hing, der schmale Körper, gleich einem zerbrochenen Singvogel.
Nein.
    Sie kniff die Augen zusammen, blendete die Schatten der Bäume mit aller Macht aus und fand den Flecken aus menschlicher Dunkelheit wieder. Dann hatte sie ihn erreicht, zog ihn mit einem Arm an sich und schwamm mit dem anderen Arm vorwärts.
    »Halt jetzt still!«, keuchte sie. »Ich bringe dich an Land …«
    Aber er hielt nicht still. Er versenkte seine Zähne in ihrer Hand. Als der Schmerz sie erreichte, war sie so froh darüber, dass sie hätte singen können. Da war eine Menge Leben in Nashville. Eine Menge Leben und eine Menge Kampfgeist.
    Gunnar wartete am Ufer und streckte die Hand aus, um ihnen aus dem Wasser zu helfen.
     
    Später, in der Küche, lag Nashvilles Hand auf dem Tisch wie etwas, das nicht zu ihm gehörte. Gunnar saß tief darübergebeugt und sammelte mit endloser Geduld die Splitter aus dem Fleisch. Svenja fühlte sich merkwürdig erinnert an den Präp-Kurs. Beinahe erwartete sie, dass Gunnar begann, Nerven und Gefäße zu benennen.
    Sie schüttelte den Kopf. Sie war viel zu müde. Die Realität verschwamm. So also ging es Gunnar, wenn er zu viel arbeitete und zu wenig schlief. Das Prinzip des Ideals …
    »So«, sagte er schließlich und verband Nashvilles Hand. »Aber jetzt will ich wissen, warum. Warum hast du ihn angegriffen?«
    Nashville sah ihn an, sah zu Svenja – und in seinen dunklen Augen stand vollkommene Ratlosigkeit.
    Er wusste es nicht. Svenja wusste es.
    »Limetten«, sagte sie.
    Gunnar zuckte zusammen. »Wie bitte?«
    »Es war der Geruch der Limetten. Das ist es, was seine Panikanfälle auslöst.«
    Gunnar schüttelte den Kopf. »Ich fürchte … das verstehe ich nicht.«
    »Wir können es ausprobieren. Hast du Limetten? Vielleicht geht es auch mit Zitronen. Zerschneide eine und gib sie ihm.«
    » NEIN «, sagte Nashville. Dann stand er auf, ging hinüber ins Gästezimmer und legte sich aufs Bett, vollkommen angezogen, mit dem Gesicht nach unten. Seine nassen Sachen hingen über dem Bügelbrett, Svenja hatte ihm geholfen, sich umzuziehen, ehe Gunnar die Hand verarztet hatte.
    Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante und streichelte sein Haar.
    »Nashville …«
    »Svenja? Ich hab Angst.« Sie beugte sich näher zu ihm, um ihn zu verstehen. »Es kommt wieder«, sagte er. »Es kommt alles wieder.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Wenn du dieses Zeug riechst, bist du wieder dort.«
    »Ja«, sagte Nashville. »Aber da ist mehr. Es kommt jetzt
mehr
wieder. Heute … Da waren Sachen, die hatte ich davor vergessen. Aber ich habe etwas gemacht. Ich habe das Messer genommen und nach ihm gestochen. Ich habe erst etwas getan, bevor ich weggelaufen bin.«
    »Ja«, sagte Svenja und seufzte. »Das hast du.« Nur dass das Messer eine Glasscherbe war und der, den du angegriffen hast, nicht der Mörder. Es war ein freundlicher alter Arzt, der mit nichts etwas zu tun hat.
    Sie sah auf und merkte, dass Gunnar im Türrahmen lehnte. »Verstehst du, Gunnar?«, flüsterte sie. »Verstehst du, was passiert ist? Wir müssen es Juliettas Vater erklären. Es war nicht Nashvilles Schuld.«
    Gunnar sagte nichts.
    »Was war es denn?«, flüsterte Svenja und strich noch einmal durch Nashvilles feuchtes Haar. »Woran hast du dich erinnert?«
    »Er hatte keine Flügel«, sagte Nashville. »Kein Pferd. Aber das weißt du schon. Er kam diesen kleinen Weg entlang, von oben, von den Wiesen. Ich habe gesagt: ›Frag ihn nicht, Sirja‹, und sie hat gesagt: ›Wer feiert, hat Geld übrig‹, und sie
haben
gefeiert, oben in den Wiesen, sie haben gegrillt, wir haben es gerochen. Man kriegt solchen Hunger davon, wenn andere Leute grillen und es so nah ist … Sie haben gesungen, wir haben das gehört, weil wir den Weg entlang sind, rauf, wir wollten gucken, und dann kam er über die Wiese, oder vielleicht war es eine Frau, ich weiß es nicht so genau, aber ich sage er. Und er ist genau dahin gegangen, wo wir gestanden haben, da haben wir uns geduckt, ins Gebüsch, und dann ist Sirja ihm nach, und ich bin Sirja

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