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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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der Mauer am Neckar. Es gab nichts, was sie hineinwerfen konnten. Sie sangen
Country Roads
und warfen die Silben des Liedes hinein. Friedel suchte die Töne auf dem Akkordeon, es klang nicht gut, aber auch nicht schlechter als das, was Nancy auf der Gitarre gespielt hätte.
     
    Er hatte natürlich die Messer. Er legte sie vor sich in eine Reihe, ordnete sie neu, wieder und wieder.
    Ich könnte, dachte er, eines der Messer nehmen und versuchen, das Ende selbst zu rufen. Man schneidet sich die Pulsadern auf, irgendwo an den Unterarmen, aber wie genau? Wo genau? Längs oder quer? Er hatte Angst.
    Am Tag nach den Baumaschinen ritzte er seine Hand mit Katleens Küchenmesser und versuchte, das Blut zu trinken. Es waren nur ein paar Tropfen und ihm wurde schlecht davon. Er versuchte, nicht sehr viel später, den eigenen Urin mit den Händen aufzufangen und den zu trinken. Aber er schmeckte salzig und machte ihn noch durstiger, und viel war es ohnehin nicht, da er ja nichts trank. Er würde also, wenn er nicht erfror, verdursten.
    Er sprach noch immer mit Svenja.
    »War es, weil ich dich angeguckt habe, als du nackt warst?«, fragte er sie, flüsternd. »Oder weil ich auf den Baum geklettert bin und das Gartenfest kaputt gemacht habe? Ich habe immer alles kaputt gemacht. Das … das ist die große Wahrheit.« Er formte die Worte jetzt nur noch mit den Lippen, ohne jeden Laut.
    Ich habe auch Sirja kaputt gemacht. Meine eigene Mutter. Wenn wir uns nicht gestritten hätten … Ich habe den Zugfütterer kaputt gemacht und den Jungen zwischen den Zeilen. Wenn ich nicht wäre, würden sie leben. Hast du das verstanden? Svenja? Hast du gedacht, dass ich dich auch kaputt machen werde? Hast du den Zettel deshalb geschrieben? Warst du das, die die Tür zugeschlagen hat, oder war da noch jemand? Es ging so schnell. Ich war natürlich dumm. So dumm! Ich dachte, du hast dich versteckt, in den Schatten, ich dachte, es wäre ein Spiel. Auf dem Zettel stand doch, dass du hier wartest. Und dann die Tür … Aber vielleicht ist es ja richtig. So einen wie mich muss man vielleicht in die Dunkelheit sperren. Einen Menschenkaputtmacher.
     
    Vierzehn Tage. Vierzehn Tage ohne Nashville.
    Wo immer er war, er würde nicht zurückkommen. Und sie würde nie erfahren, ob er verrückt genug war, ein Messer in den Körper eines anderen Menschen zu jagen.
    Sie musste weitermachen. Mit dem Studium, mit dem Leben, mit allem.
    An jenem vierzehnten Tag begrub sie Nashville in ihrem Kopf an einer geheimen Stelle und begann, Wohnungsanzeigen durchzugehen. Es gab zwei freie Wohnungen zum nächsten Ersten. Eine war die am Jakobusplatz. Sie hatten das Haus fertig restauriert. Svenja riss die Seite mit der Anzeige in kleine Fetzen und warf sie in Gunnars Papierkorb.
    Die Dämmerung an diesem Abend war blauer als sonst und so weich, dass es wehtat. Sie saß im Bügelzimmer am Fenster und sah in das Blau hinaus. Schließlich nahm sie die bunte Glaskette ab und legte sie aufs Fensterbrett.
    Sie sah wieder vor sich, wie er auf dem Küchenfußboden gekauert hatte, blutverschmiert, die Kette in der Hand. Sie sah Hermann am Klavier vor sich. Nashvilles Geschichte war vorüber, und sie hatte es nicht einmal geschafft, es den Hermanns der Stadt auf irgendeine Weise heimzuzahlen.
    »Gunnar«, sagte Svenja leise, obwohl er natürlich nicht da war. »Ist das nicht komisch? Alles endet, obwohl diese Geschichte überhaupt nicht beendet ist. Ich frage mich so viele Dinge … Was bedeuten die Limetten? Wer war Sirja wirklich? Gunnar, weißt du, ich habe lange keinen Kopfstand mehr gemacht, wir könnten vielleicht Kopfstand zu zweit machen … Wozu ist er da gewesen, Gunnar? Hat er etwas verändert? In uns? Wir sehen die Welt vielleicht häufiger umgekehrt, aber nützt das etwas?« Sie schüttelte den Kopf, lachte über sich selbst. »Niemand ist zu etwas da, natürlich. In drei Wochen heiratest du Julietta. Es gibt schon ein Brautkleid und eine Tischordnung. Ich hätte dich so gerne ein einziges Mal richtig geküsst. Ich wollte das vom allerersten Tag an … Weißt du noch, wie du mir geholfen hast, das Rad zu reparieren?«
    Sie stellte es sich vor. Niemand konnte ihr verbieten, es sich vorzustellen.
    »Ich ziehe aus, Gunnar«, flüsterte sie. »Bald.«
    »Das ist … schade«, sagte Gunnar.
    In ihrer Vorstellung drehte er sie sanft zu sich und sah sie eine Weile an, mit diesem suchenden Blick, und seine Sommersprossen waren lauter Sternbilder.
    »Hättest du etwas

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