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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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und der Prof schwieg.
    Katharina sagte die Arterien des Thorax auf wie ein Erstklässler ein Gedicht, kaum hörbar und sehr stockend. Sie bestanden beide.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte Katharina, als sie nach dem Testat zusammen im Flur standen, erschöpft. »Hast du denn nie Angst?«
    »Doch«, antwortete Svenja ehrlich. »Dauernd.«
    Eigentlich war Katharina ganz nett.
    Als sie aus der Anatomie kam, saß Gunnar nicht in der Cafete der HNO . Sie verdrängte die Enttäuschung. An der steinernen Riesenvagina lehnten Friedel, Kater Carlo und Thierry und blickten ihr entgegen wie drei Cowboys.
    »Bestanden? Ich auch«, sagte Friedel glücklich.
    »Lass uns feiern gehen«, sagte Kater Carlo.
    »Ja, ich brauche dringend einen Kaffee«, sagte Svenja. »Und einen großen Schluck Fleckenentferner.«
     
    »Wenn ich das richtig sehe, hat er versucht, dir einen Spickzettel zu machen«, meinte Friedel, als sie eine halbe Stunde später in der Altstadt im offenen Fenster des
Pfauen
saßen. Der Kittel lag auf einem Stuhl neben ihnen. »Du kannst das nicht rauswaschen, Svenja. Es ist Kunst. Quasi, wie du sagen würdest.«
    »Sage ich dauernd quasi?« Wie genau achtete Friedel auf ihre Worte?
    »Egal«, meinte er. »Carlo? Guck dir die Arterien und die Geheimschrift hier an. Kunst oder nicht?«
    »Mmmm«, sagte Kater Carlo. Thierry und er waren damit beschäftigt, sich einen Frühstücksteller zu teilen, was das genaue Ausmessen von Käsestücklängen und Wurstdurchmessern erforderte. Die Maßeinheit war die Länge von Thierrys Taschenmesser. Es gefiel Svenja nicht, wie er damit herumfuchtelte, es sah verdammt scharf aus. Keiner von beiden interessierte sich für den Kittel. Die Sonne schien auf ihre Gesichter, die Bedienung im
Pfauen
flirtete von der Theke aus mit ihnen, und sie waren mit sich und der Welt zufrieden.
    »Fest steht jedenfalls eins«, sagte Friedel. »Dein Mowgli möchte schreiben lernen. Wie alt ist er? Acht? Zehn?«
    »Er heißt Nashville«, sagte Svenja.
    »Genauso wenig wie Mowgli«, sagte Friedel. »Ich habe einen zweiten Kittel, den kannst du haben fürs Präppen. Das hier solltest du aufbewahren für später.«
    »Später?«, fragte Svenja. »Wann später? Wenn ich Ärztin geworden bin und Nashville ein glücklicher Erwachsener, der in einer Anstalt Postkarten mit seinen Arterienbildern bemalt?« Sie griff in die Spiegeltasche und holte den braunen Umschlag heraus. »Ich habe einen Brief bekommen. Jemand hat ihn mir in die Tasche gesteckt. Aber er ist an Nashville.«
    Sie glätteten die alte Zeitung, und Friedel beugte sich gemeinsam mit ihr darüber.
     
    Hey, Kleiner.
    Was ist passiert? Erst dachten wir, ihr seid wieder weg aus der Stadt. Aber nur sie ist abgehauen, oder? Ohne dich. Was hat sie angestellt? Irgendwann finden sie es nämlich heraus und hängen es einem von uns an. Sag Svenja, dass es nett von ihr ist, dass sie dir den Brief vorliest. Aber sie
wird nicht immer nett sein, keiner von ihnen ist das. Ich frage mich, ob wir dich lieber zurückholen sollten. Wir sind immer da, vergiss das nicht. Wir sind überall.
    Sag ihr, das hier hat der von der Parkbank geschrieben.
     
    Friedel sah auf. Sein Gesicht war eine einzige Frage. Das von Svenja war keine Antwort.
    Warum hatte sie Friedel den Brief zeigen müssen? Sie faltete die Zeitung und schob sie in die Tasche ihrer Jeans. »Irgendein Spinner«, sagte sie leichthin. »Das ergibt ja nicht den geringsten Sinn. Kater Carlo … Thierry …« Sie hörte selbst, wie nervös sie klang. »Wollten wir nicht feiern gehen?«
    »Später«, sagte Kater Carlo. »Ich muss noch ausmessen dieses Banane.«
    »Das ist eine Physalis, Katerchen«, sagte Thierry. »Wir könnten jeder von einer Seite abbeißen …«
    Friedel stand mit einem genervten Seufzer auf. Er legte einen Schein auf den Tisch und nickte zum Abschied. »Das reicht für Svenja und mich«, sagte er. »Wenn nicht, ist das Pech. Ich fahr jetzt zu den Roßwiesen rauf und bring den Drachen in die Luft.«
    Svenja schob ihr Fahrrad neben Friedel her, die Straße entlang. An der Ecke stand eine kleine Gestalt mit zerzaustem Haar und schien auf sie zu warten.
    »Nashville!«, rief Svenja.
    »Hey«, sagte Friedel. »Svenja, dieser Drachen, den ich steigen lassen wollte … alleine ist das eigentlich schwierig …«
    Etwas in Nashvilles Augen leuchtete auf und verdrängte die Dunkelheit für Momente. Er sah Svenja an, fragend.
Können wir mitgehen? Bist du mir noch böse?
    »Der Spickzettel auf dem

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