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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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vorsichtig.
    »Natürlich«, sagte Friedel.
    Svenja legte die Hände um die Müslischale, in die sie ihren Kaffee gegossen hatte, weil es in der Küche nur eine richtige Tasse gab. Ihr Kaffeespiegelbild sah sie an und fragte sich, ob sie eigentlich hübsch war. »Du meinst doch nicht etwa, dass Kater Carlo … in mich …?«
    »Was?«
Friedel brach in schallendes Gelächter aus.
    »Svenja, du überschätzt dich. Nein, unser Kater Carlo ist in jemand anderen verknallt. Schon fast ein Jahr lang. Thierry.« Er sah auf die Uhr. »Verdammt, wir müssen los. Nashville? Wenn du willst, könnten wir heute mit dem Schreiben anfangen. Am Nachmittag. Im Haus Nummer drei. Ich hab Zeit.«
    Nashville sah nicht von den Tasten des Akkordeons auf, die er noch immer polierte. Er nickte nur, ganz unvermittelt, und polierte weiter.
     
    »Friedel?«, flüsterte sie. »Warum machst du das?«
    Sie saßen nebeneinander an ihren Mikroskopen, und vor Svenjas Augen tanzten zweikernige Knorpelzellen wie Waldblätter. Sie war schon wieder zu müde. Sie war ständig zu müde für irgendetwas.
    »Was? Knorpel zeichnen? Das frage ich mich auch …«
    »Nein. Warum willst du Nashville das Schreiben beibringen? Wir wissen nicht mal, ob es möglich ist, dass er es lernt. Vielleicht stimmt mit seinem Kopf etwas nicht …«
    »Das glaubst du doch nicht ernsthaft? Ich … ich denke, vielleicht kann er aufschreiben, woher er kommt. Und vor wem er sich versteckt. Vielleicht kann er es nicht sagen, aber aufschreiben.«
    »Und warum interessiert dich das? Nashville ist …
mein
Projekt, du musst dich nicht mit ihm beschäftigen. Er ist
mir
zugelaufen …«
    »Eben«, sagte Friedel. »Kann ich mal die andere Färbung haben? Dieser Knorpel ist mir eigentlich zu himmelblau.«
     
    Nachmittag in der Ulrichstraße drei: eine farbsatte, runde Sache, ein wenig wie eine Murmel, halb durchsichtig vom Wind, der durch den Flieder und einen großen Ahorn strich.
    Vor dem Haus stand Kater Carlo mit einem riesigen Pinsel in der Hand auf einem Tisch und malte die Wand an. Gerade malte er eine nackte Frau darauf, so groß, dass sie die Fenster im Erdgeschoss überragte. Die Nackte saß in einem Gartenstuhl Modell, fror im Wind und wärmte ihre Hände an einem Becher Tee. Es war die rothaarige Grazie von der Party. Auf einem zweiten Tisch standen drei andere Mädchen und waren ebenfalls mit der Wand beschäftigt, oder beschäftigt gewesen, im Moment malten sie sich gegenseitig an.
    Svenja und Nashville zogen die Schuhe im Flur aus, wo die Schaufensterpuppen neuerdings giftgrün angesprüht waren. Sie musste sich, dachte Svenja, um neue Schuhe für Nashville kümmern, seine alten lösten sich langsam auf.
    Am Küchentisch saß Friedel mit einer Dose voller Stifte und einem Stapel Schreibpapier und war damit beschäftigt, einen Joint zu rollen. Er leckte das Papier an, drückte es fest und legte den Joint in die oberste Schublade der alten Kommode auf einen Haufen von Küchenmessern.
    Das Licht im Raum war gelb, es erinnerte Svenja an ihre Turnschuhe. Tatsächlich hatte jemand bunte Kreise aus gelbem Transparentpapier vor die Fenster geklebt.
    Nashville hatte das Akkordeon nicht mitgenommen, aber aus seiner Hosentasche hing ein Ende des graublauen Halstuchs. Friedel lächelte ihm entgegen. Nashville erwiderte sein Lächeln nicht. Er sah sich im Raum um, als schätzte er die Fluchtmöglichkeiten ab. Dann kroch er unter den Tisch.
    »Okay«, sagte Friedel, nahm das Papier und die Stiftedose und setzte sich neben Nashville auf den Boden. »Ihr habt recht«, sagte er zu ihm. »Du und meine Großmutter. Es ist viel gemütlicher hier. Bis nachher, Svenja. Zwei Stunden?«
    »Wie?«
    »Na, ich dachte, du gehst jetzt. Deine Augenringe kann man einem Zirkuslöwen zum Durchspringen anbieten. Leg dich auf irgendeine Blümchenwiese und schlaf.«
    »
Nicht
auf eine Wiese«, murmelte Svenja. »Da stecken einem nur fremde Leute Briefe in die Tasche. Glaube ich.« Dann sagte sie, lauter: »Bist du sicher?« Die Aussicht auf Schlaf war verlockend.
    »Klar«, sagte Friedel. »Nashville? Passt du für die nächsten beiden Stunden auf mich auf?«
    Nashville – wenig verwunderlich – antwortete nicht. Er hatte einen roten Fineliner in der Dose gefunden und war dabei, das oberste Blatt Papier damit sorgfältig an mehreren Stellen zu durchbohren.
    »Bis später«, sagte Svenja.
    Draußen malte Kater Carlo noch immer die Nackte. Auf der Treppe saß jetzt Thierry und hackte auf einem

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