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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Rom.«
    Bei »Rom« nickten die Zwillinge und sagten etwas, das Svenja nicht verstand, und Gunnar antwortete ihnen mit einem Satz, den Svenja ebenfalls nicht verstand.
    Sie wrang den Saum ihres Männerhemdes aus.
    »Du kannst … du kannst das ziemlich gut«, sagte sie. »Mit dem Stochern. Ich habe es versucht. Es ist ungefähr so, als ob man einen Einkaufswagen rückwärts über ein Hochseil schiebt.«
    Gunnar grinste. »Früher habe ich das für Geld gemacht. Touristen durch die Gegend gefahren. Ich hatte eine Menge Jobs im Studium … Seitdem kann ich es einigermaßen. Das Stochern. Besser, ich bringe dich zurück.«
    Svenja nickte. »Ja. Falsches Boot. Ich gehöre da rüber, zu den Chaoten.«
    Gunnar holte mit der Stange aus, zögerte dann einen Moment lang und tauchte sie langsam ins Wasser.
    »Was du erzählt hast neulich … Wo du warst, da im Wald … beim Österberg …«
    Svenja nickte. »Sie haben dort eine Leiche gefunden. Ich weiß.«
    »Und?«, fragte Gunnar leise. »Was sagt der Junge?«
    »Oh, er redet wie ein Wasserfall«, antwortete Svenja bitter. »Nein. Er schweigt sich aus.«
    Gunnar brachte das Boot längsseits zum Kahn der anderen und nickte ihr einen nachdenklichen Abschied zu. Als Katleen sie hinüberzog, hatte ihre Hand etwas seltsam Besitzergreifendes.
    Und dann saß Svenja also wieder im richtigen Boot, im Boot der Chaoten. Das Holz der Bank fühlte sich viel rauer an. Aber auch wirklicher.
    »Meisterleistung von mir, was?«, knurrte Friedel neben ihr.
    Svenja seufzte. »Sagte der Boxer und strickte die Shorts fertig.«
    Von ferne sah sie, wie Gunnar ihr einen letzten, sehr kurzen Blick zuwarf und das Boot am Ufer davongleiten ließ, vorbei an den blühenden Grundstücken ehrwürdig alter Häuser. Es waren schöne Grundstücke, Gärten wie auf alten Bildern: voller Gartenhäuser und tiefvioletten Klematis, voll von rotem und orangefarbenem Geißblatt. Schwäne und Enten schwammen dort zwischen den tief herabhängenden Ästen uralter Bäume.
    Und Gunnar steuerte den perfektesten der perfekten Gärten an, vor dem eine perfekte steinerne Treppe sanft ins Wasser führte. Über diese Treppe liefen die Zwillingsmädchen gleich darauf an Land, leichtfüßig wie Elfen.
    Weiter oben im Garten stand eine Hollywoodschaukel mit rosa Fransen.
    Disney-Prinzessinnen-Welt.
    Eine Mutter empfing die Prinzessinnen mit offenen Armen. Die ältere Frau neben ihr musste Juliettas Mutter sein. Sie winkte Gunnar, der den Kahn an Land zog, und man konnte sehen, wie stolz sie war – auf ihren privaten Gondoliere und zukünftigen Schwiegersohn.
    Svenja sah weg, ehe Julietta auch noch von irgendwo hinzukommen konnte.
    Auf einmal tauchte ein unsinniger Wunsch in ihr auf: Sie wollte in diesem Garten wohnen. Sie wollte selbst ein kleines Mädchen sein, in einem kitschigen weißen Kleid mit Lochstickerei. Sie hatte das nie gewollt, sie hatte als Kind Fußball gespielt und in Baumwipfeln gesessen, aber jetzt erschien es ihr wünschenswert.
    Und … Nashville?
    Er war etwa so alt wie die Mädchen.
    Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie er neben ihnen stand, mit seinen zerzausten Haaren und seinen abgetragenen Kleidern, in denen sein zu magerer Körper auf überdeutliche Weise ertrank. Und dann sah sie ihn rennen, in Panik, sah ihn auf einen der uralten, turmhohen Bäume klettern und im Grün der Blätter verschwinden. Als die Feuerwehr anrückte, waren die Äste des Baumes leer.
    »Svenja«, sagte Friedel dicht neben ihrem Ohr. »Schläfst du?«
    »Ich? Nein.« Sie fuhr hoch, sie war tatsächlich in der Abendsonne an Friedels Schulter eingenickt. Ihre Kleider hatten begonnen zu trocknen. Der Märchengarten lag längst hinter ihnen, sie trieben jetzt auf der anderen Seite der Ein-Alleen-Insel mit der trägen Strömung zurück.
    Friedel nickte zum Ufer hin. Dort saßen die Grillenden nahe am Wasser, Grüppchen von Leuten ohne bestimmtes Ziel. Ein paar Studenten hatten eine Wasserpfeife mitgebracht.
    »Da drüben«, sagte Friedel leise. »Schau. Neben den Typen mit der Shisha.«
    Svenja schüttelte die Schwere ihrer Augenlider ab und sah genauer hin. Halb hing ihr Bewusstsein noch in dem Traum vom Märchengarten, in dem Nashville auf einen Baum geklettert und für immer verschwunden war …
    Und da war er. Im Gras, am Ufer der künstlichen Insel.
    Er war nicht allein. Er war Teil einer Gruppe, die nicht grillte. Sie kannte diese Gruppe, sie kannte sie alle. Den Zugfütterer mit den langen weißgrauen

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