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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Haarsträhnen. Die Frau mit dem spitzen, unangenehmen Gesicht, die ihre Gitarre neben sich im Gras liegen hatte.
Country Roads, take me home …
Ja, aber wo war denn das?
Home?
    Der Typ, der neben Nashville saß, der im Kapuzenpulli, war nicht älter als Svenja oder Friedel. Der Typ von der nächtlichen Spielplatzbank.
Wir leben zwischen den Zeilen.
    Nashville lag auf der Seite, halb zusammengerollt, die Augen geschlossen, den Kopf auf dem Knie des Parkbanktypen. In einer Hand hielt der Junge zwischen den Zeilen den verglimmenden Rest einer Kippe, mit der anderen fuhr er sacht durch Nashvilles Haar. Schlaf, Kindchen, schlaf.
    Dann schnippte er die Kippe weg und sah auf. Sah Svenja in die Augen. Sein Blick war sehr scharf, scharf wie ein Messer. Er wusste.
    Aber was wusste er?

7 Betten
    Sie rannte über die Straße, ehe die anderen überhaupt aus dem Kahn steigen konnten.
    In ihren Ohren klangen die Worte einer Schattenfigur:
    Was hast du mit ihm gemacht?
    Gemacht? Ich? Mit Nashville? Gar nichts … ich füttere ihn durch. Und wer immer du bist, du kriegst ihn nicht.
    Du aber auch nicht, Svenja. Der gehört keinem. Menschen gehören nicht.
    Die Mittelinsel lag auf der anderen Seite der Brücke, und auf der Brücke waren wie immer zu viele Autos unterwegs. Ein Bus bremste ärgerlich. Sie rannte die Treppe auf der anderen Brückenseite hinunter, an den hohen, alten Bäumen entlang, bis zu der Stelle, an der die Penner gesessen hatten.
    Das Gras war immer noch heruntergetreten. Aber es saß niemand mehr da.
    Auf dem Sandweg zwischen den Bäumen warf ein Boulespieler mit unendlicher Konzentration seine Kugel.
    Svenja drehte sich um sich selbst und sah in den impressionistischen Abend zwischen den Alleebäumen hinein. Nashville, die
Country-Roads
-Frau, der Zugfütterer, der Junge zwischen den Zeilen – sie waren verschwunden. Vielleicht zwischen ebenjene Zeilen.
     
    Nashville war
nicht
verschwunden. Er stand am Fenster und blickte ihr still entgegen, als sie die Küche betrat.
    »Was ist das?«, fragte Svenja und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ein Spiel? Möchtest du jetzt, dass ich glaube, du wärst die ganze Zeit über hier gewesen? Du wärst gerade erst vom Dach hereingeklettert?«
    Er sah sie an, ohne zu blinzeln.
    »Soll ich glauben, ich wäre die Einzige, die sich um dich kümmert? Ich habe dich gesehen, Nashville. Vom Boot aus. Du hättest dir doch denken können, dass ich dich sehe, du wusstest, dass wir Stocherkahn fahren. Ist das der Ort, wo meine zweihundert Euro gelandet sind? Bei deinen Pennerfreunden? Ist das der Ort, an den meine Zigaretten verschwinden?« Sie schüttelte den Kopf. »Was soll ich machen? Dich rausschmeißen? Du brauchst mich nicht. Du hast
die.
Und manchmal glaube ich, du bist überhaupt älter, als ich denke. Jedenfalls kopfmäßig. Von wegen hilfloses Kind.«
    Er hatte sich nicht gerührt.
    »Sie haben dich geschickt, natürlich«, sagte Svenja. »Toller Plan. Hier gibt es nichts zu holen. Du kannst dir eine andere Blöde suchen.«
    Nashville hob die Hände – und ließ sie wieder sinken. Sie sah, wie er sie zu Fäusten ballte und wieder öffnete.
    Die Anspannung in seinem Körper füllte die Küche mit einem roten Vibrieren.
    »Was bist du bloß für ein … Geschöpf?«, sagte Svenja müde. »Diese Frau, im Wald, die Tote … Du warst bei ihr, als sie schon tot war. Du hast sie besucht, fast jede Nacht. Warum? Warum hast du ihr Halstuch geholt und eine Haarlocke von ihr? Und das Akkordeon? In der Nacht, in der ich dir gefolgt bin, da war sie schon fast drei Wochen tot. Gott! Du bist nicht normal. Wenn ich dich hierbleiben lasse, was wird dann passieren? Schlitzt du mir eines Nachts im Schlaf die Kehle auf?« Sie stand auf und ging zu ihm hinüber. Sah ihm in die dunklen Augen. Sie wusste, dass sie nicht nett war. Aber vielleicht war sie lange genug nett gewesen. »Verstehst du, was ich sage? Egal. Du bist ein kleines, gefährliches Tier. Gar kein Mensch. Ein Tier, das ab und zu die Nerven verliert … und dann kommt eine Kurzschlussreaktion …« Sie schüttelte den Kopf. »Du schleichst nachts alleine durch den Wald zu einer Leiche, aber du hast Angst davor, dass die Dusche dich beißen könnte. Ich … ich habe es nicht mal geschafft, dir beizubringen, dass die Dusche nicht gefährlich ist! Ich habe gar nichts geschafft, ich bin nur zweihundert Euro leichter. Und ich dachte, du bist geblieben, weil … du mich irgendwie magst. Haha. Was man sich alles

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