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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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auf den winzigen Wellen in die Augen zu lassen, ohne zu blinzeln. Das Bier zu trinken, ohne an letzte Nacht zu denken. Svenja schaffte es. Sie vergaß alles Dunkle, Bedrohliche. Es würde zurückkommen, mit Wucht, aber für den Moment wollte sie es nicht sehen.
    »Falsch!«, hörte sie sich selber sagen. »Ich bin kein Stier, ich bin eine Nacktschnecke! Hörner, ja, aber denkt doch mal nach, was ich noch gesagt habe … Seit wann sammelt man Stiere aus Salatbeeten?«
    »Im Übrigen bist du dran«, sagte Katleen. »Mit Stochern.«
    »Ich? Ich habe das noch nie gemacht.«
    Katleen zuckte die Schultern.
»Learning by doing.«
    »Sagte die Stewardess und sprang dem Fallschirm hinterher«, bemerkte Friedel.
    Die ganze Bootsmannschaft stöhnte.
    Svenja stand auf, was das Boot für Sekunden gefährlich zum Schwanken brachte, ließ sich von Katleen zum Heck führen und nahm die unendlich lange Holzstange entgegen. Katleen umfasste ihre Hände, die das Holz hielten. »Ich zeig es dir«, sagte sie. »Schau, so … die Stange ins Wasser tauchen, abstoßen, wieder herausgleiten lassen … weiter vorne wieder rein …«
    »Wenn du ein Mann wärst«, sagte Svenja, »würde ich jetzt grinsen.«
    Katleen sagte nichts, führte nur weiter Svenjas Hände. Das Licht sammelte sich in den winzigen Härchen auf ihren sonnenbraunen Armen, die von hinten um Svenja herumgriffen.
    »So«, sagte sie schließlich. »Jetzt du. Alleine.«
    Es ging gut. Zwei oder drei Meter weit. Dann steckte Svenja die Stange zu tief in den gierigen Schlickboden, schaffte es nur mit Mühe, sie wieder herauszuziehen, und verlor dabei das Gleichgewicht. Alle im Boot schrien durcheinander, der Kahn schaukelte – doch dann fing er sich wieder. Svenja fing sich nicht. Sie wurde gefangen.
    Von den gastfreundlichen Armen des Neckars.
    Es war kalt, aber nicht zu kalt. Sie tauchte ein Stück neben dem Boot her, nur so. Als sie wieder hochkam, hatte Friedel die Stange übernommen. Er war besser als Svenja, aber Richtung war nicht seine Stärke. Und immer wieder kam ihm diese eine ärgerliche Rastalocke in die Quere und nahm ihm die Sicht. Svenja legte sich im Wasser auf den Rücken und fand ein großes goldgrünes Lächeln in sich. Friedel als Held mit einer Stocherstange in der Hand, einen Kahn ins Verderben steuernd – an dieses Bild wollte sie sich später einmal erinnern. War sie denn nun mit Friedel zusammen? Nein, sagte sie sich, mach nicht mehr daraus, als es ist.
    Und da kam es schon, das Verderben, da kam ein anderes Boot. Friedel lenkte den Kahn direkt darauf zu. Svenja kam aus ihrer Rückenlage hoch, um den Zusammenstoß der Boote zu beobachten. In dem anderen Stocherkahn befanden sich zwei kleine Mädchen, neun oder zehn Jahre alt, identisch in hübschen weißen Sonntagskleidchen – und ein Mann, der sie spazieren fuhr. Der Mann trug einen glänzenden Helm aus braunrotem Haar und eine Prise der winzigsten aller Sommersprossen.
    Gunnar.
    »Stoooopp!«, rief er. »Mach einfach gar nichts! Ich komme vorbei …«
    Aber Friedel versuchte, rückwärtszustaken – und steuerte den ganzen Haufen johlender, Bier trinkender Kunststudenten in den Untergang.
    »Wir kentern!«, hörte Svenja Katleen begeistert rufen.
    »In die Rettungsboote!«, rief Friedel.
    »Das hier ist das Rettungsboot, du Idiot!«, rief die rothaarige Grazie.
    Sie sah, wie sich Gunnars Hände fester um die Stange seines eigenen Stocherkahns schlossen. Er stieß das Boot ab, und es beschrieb einen engen Bogen um Friedels Boot herum, es war wie eine Bewegung beim Skifahren. Das Boot lag nach dem Manöver genauso ruhig und gerade im Wasser wie zuvor, als wäre es mit einem sachten Flügelschlag ausgewichen. Aber auf Gunnars Stirn standen Schweißtropfen, und seine Arme zitterten.
    Die Zwillinge klatschten in die Hände, entzückt, wie nur Zwillinge in weißen Kleidern es sein können. Sie hatten die gleichen dunklen Locken, die gleichen großen Augen und sogar die gleichen Nasen. Die gleichen wie Julietta. Svenjas Kopf rechnete blitzschnell nach, ob sie ihre Kinder sein konnten, ihre und Gunnars Kinder. Aber ehe der Kopfrechner ein Ergebnis ausspuckte, legte Gunnar den Kahn neben sie ins Wasser.
    »Hey, Svenja.« Er lächelte, irgendwie flüchtig, und reichte ihr eine Hand. »Du siehst nass aus.« Damit zog er sie hoch, ins Boot.
    »Juliettas Cousinen.« Er nickte zu den Mädchen hinüber, die sich anstießen und kicherten. »Sie sind mit ihrer Mutter hier. Für ein paar Wochen. Aus

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