Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
nur alles gerade etwas viel hier.«
»Ich packe
jetzt
«, sagte ihre Mutter. »Morgen früh bin ich da. Ich schicke dir eine SMS mit der genauen Ankunftszeit.«
Auf dem Weg zum
Neckarmüller
dachte Svenja, dass es natürlich nichts ändern würde. Ihre Mutter konnte ihr nicht sagen, wem das Messer gehörte, das Halsmuskeln durchtrennte. Aber sie sehnte sich danach, von ihr in die Arme genommen zu werden. Für fünf Minuten jegliche Verantwortung abzuwerfen. Und ihr alles zu erzählen.
Sie hatte die ganze Zeit über Angst gehabt, aber die Angst war vage gewesen, vermischt mit der Hoffnung, dass der Mörder längst nicht mehr in der Stadt war.
Er war da.
Jetzt wusste sie es.
Er war da, und er war noch nicht fertig mit dem, was er begonnen hatte.
Der
Neckarmüller
summte in nachmittäglicher Geschäftigkeit wie ein Bienenhaus. Man war ausgelastet, man hatte damit zu tun, Bier zu zapfen, Bier zu tragen, Bier einzugießen und, vor allem, Bier zu trinken. Svenja stellte sich einen Moment lang auf die Terrasse über dem Neckar und beobachtete, wie die Schlechtwetterfront näher zog. Sie spürte die ersten Windstöße kühl auf den Wangen und ging hinein, um auf einen Barhocker zu klettern, der seinen eigenen kleinen Tisch besaß, nahe bei der Theke. Als sie Friedel zwischen den herumwuselnden Kellnern fand, musste sie lächeln. Er passte so wenig in die Uniform der
Neckarmüller
-Bedienungen – weißes Hemd, grüne Schürze – wie in den Präp-Saal. Tatsächlich hatten sie ihn dazu bekommen, die Rastalocken im Nacken zu einer Art Dutt zusammenzuknoten.
Weiter vorne im Raum, an einem größeren Tisch, saß eine Handvoll Verbindungsstudenten samt alten Herren. Sie alle trugen Farben, trugen die Bänder ihres Korps schräg über der Brust. Es wirkte ein wenig, als hätten sie im Sportunterricht Mannschaften gewählt und Erkennungsbänder bekommen, ehe sie aufs Spielfeld durften. Vielleicht war Biertrinken ja ein Mannschaftssport.
Eine Weile lief ihr Gespräch an Svenja vorbei, während sie darauf wartete, Friedel abzugreifen. Doch dann war da ein Satz, der sie den Kopf heben ließ.
»… also noch einer dran glauben müssen«, sagte einer der alten Herren. »Beim Bahnhof.«
Svenja saß vollkommen reglos, ihr ganzer Körper wie ein Ohr.
»Schlechter Stil«, sagte jemand anders. »Mitten durch den Hals, ts, ts.«
Sie lachten. Es war kein böses Lachen. Aber sie lachten.
»Mal ehrlich«, sagte eine dritte Stimme, ernsthafter, »wer macht denn so was? Einem Penner die Kehle durchschneiden?«
»Irgendein Perverser.« Die Antwort zuckte die Schultern und gehörte wieder einem der alten Herren. »Irgendein Spinner. Fühlt sich allerdings nicht gut an, wenn so einer hier frei rumläuft. Man möchte glatt den Degen mitnehmen, wenn man nachts weggeht. Zu meiner Zeit war ich mal der Schnellste in der ganzen Burschenschaft.«
»Ja, im Weglaufen«, sagte ein anderer alter Herr, und der Protest ging in erneutem Gelächter unter. Gläser stießen aneinander.
»Von Samstag an kann uns der Junge hier verteidigen«, meinte einer. »Ist doch Samstag, dein erstes Duell? Dann bist du also bald kein Fuchs mehr. Werden alle groß, die Kinder.« Ein Seufzen, begleitet von mehr Gelächter. Wo hatten sie nur all das Gelächter her? Schwamm es am Grunde der Bierflaschen, klebte es an den Bändern, die sie trugen?
»Danach gehen wir natürlich feiern, was?«
»Mal sehen, wie ich drauf bin, wenn sie mich wieder zusammengeflickt haben«, sagte eine jüngere Stimme, die sich ganz offenbar bemühte, das gleiche tiefe, sorgenfreie Lachen im Hintergrund abzuspielen. Die Stimme gehörte Nils.
»Was darf ich der Dame bringen?«
Svenja fuhr herum. Vor ihr stand Friedel und grinste. »Touristen empfehlen wir gerne das Selbstgebraute. Das haben schon Hölderlin und Goethe hier getrunken. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die an dem Haus beim Markt angebrachte Inschrift
Hier kotzte Goethe
im Zusammenhang damit steht.« Sein Grinsen wurde zu Feinstaub und fiel ab, und er wischte es mit einer Handbewegung vom Tisch. Darunter trug er etwas wie Besorgnis.
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Nein«, sagte sie leise. »Bring mir irgendwas, was weiß ich, ein Bier … Hast du Zeit?«
Er schüttelte den Kopf. »Schicht bis elf. Ich müsste mir irgendwas ausdenken … krank werden …«
»Nein. Hast du das mitgekriegt, mit dem Penner in der Bahnhofsunterführung?«
»Penner?«
»Ja. Es ist wieder einer umgebracht worden. Alle
Weitere Kostenlose Bücher