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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Seiten. Der Anzugärmel von Juliettas Vater wurde nass, Juliettas helles Sommerkleid wurde nass, die ganze fröhliche Stimmung wurde nass.
    Einen Moment lang war es sehr still.
    Julietta starrte Gunnar an. Alle starrten Gunnar an. Gunnars Gesicht war leer.
    »Aber … du erbst ihn doch, deinen Lebensunterhalt«, sagte Nils in die Stille. »Ich dachte, du heiratest demnächst. Du heiratest Geld.«
    »Sieht nicht so aus«, sagte Gunnar, ging zu Nils hinüber und stellte das leere Bierglas mit einem Knall vor ihn.
    »Sieht … nicht so aus?«, fragte Julietta, unsicher.
    »Sieht nicht so aus«, wiederholte Gunnar, »als würde ich Geld heiraten. Ich heirate eine Person.«
    Er streckte die Hand nach Julietta aus, und sie nahm sie. So verließen sie den Tisch der Burschen, so verließen sie den
Neckarmüller
: Hand in Hand, mit Bierflecken in den Kleidern. Der Silberdachs sah ihnen lange nach.
    Svenja atmete langsam aus und merkte, dass sie zuvor die Luft angehalten hatte. Sie rutschte von ihrem hohen Hocker. Nein, dachte sie, Gunnar würde nicht vereinsamen in seiner
Hütte am Fluss
. Aber wo war die Hütte am Fluss? Sie war zu neugierig, um den beiden nicht nachzugehen.
    Eine Sekunde lang hatte sie gedacht, er würde Julietta doch nicht heiraten. Und Julietta hatte es auch gedacht, sie war sich sicher.
    Vor dem
Neckarmüller
versperrten tausend kreuz und quer abgestellte Fahrräder den Weg. Rechts der Kreuzung winkte die
Bubble-Tea
-Fahne vor dem Dönerladen, sorglos, bunt, kommerziell. Svenja folgte Gunnar und Julietta über die Straße und schaffte es mal wieder, sich beinahe überfahren zu lassen. Die beiden gingen jetzt Arm in Arm am Neckar entlang. Gunnar trat mit dem Fuß nach kleinen Steinen, während er redete, und Julietta kickte einen der Steine weiter. Sie waren gar nicht so perfekt, dachte Svenja. Sie waren Menschen, die ärgerlich wurden und Biergläser auskippten und Augenringe hatten und Hände nacheinander ausstreckten.
    Sie sind
so schön.
    Sie wanderten am Turm vorbei, die Mauer entlang, auf der die Leute wieder saßen wie Vögel auf der Stange. Dort, ein wenig abseits von den anderen, saßen drei Menschen, die sie kannte. Drei Menschen, die sie eigentlich hatte suchen wollen. Verdammt, sie hatte es über Gunnar beinahe vergessen. Der Junge zwischen den Zeilen, die
Country-Roads
-Frau und, zwischen ihnen, Nashville.
    Der Junge zwischen den Zeilen hielt ein paar Plastiktüten auf dem Schoß. Nashville hatte die Arme um Sirjas Akkordeon gelegt, und so sahen sie auf den Fluss hinab, den ewig strömenden, bedeutungsvollen und bedeutungslosen Fluss.
    Gunnar und Julietta, Arm in Arm, verschwanden in der Abendbläue.
    Svenja trat näher an die Mauer.
    »Nashville?«
    Er erschrak für einen Moment, drehte sich dann um und lächelte. Svenja setzte sich neben ihn; die
Country-Roads
-Frau rückte ein Stück, um ihr Platz zu machen.
    »So«, sagte sie mit ihrer vergangenen, aufgerauchten Stimme. »Du bist das. Seine Flamme.«
    »Nancy, sei still«, sagte Nashville.
    Nancy musterte Svenja mit zusammengekniffenen Augen. Ihr Gesicht war so verbraucht wie ihre Stimme, hager, vorgealtert.
    »Also dann«, sagte der Junge zwischen den Zeilen. »Lassen wir ihn gehen. In Indien kippen sie die Asche der Toten ins Wasser. Wir haben keine Asche.« Er griff in die erste Tüte, holte eine leere Flasche heraus und ließ sie in den Fluss fallen.
    »Hey, spinnst du?«, rief Nancy. »Da ist Pfand drauf! Deshalb hat er sie doch gesammelt!«
    Der Junge zwischen den Zeilen ließ die zweite Flasche fallen. »Aber auf Typen wie uns ist kein Pfand«, sagte er. »Hast du mal versucht, einen leeren Körper zurückzugeben?«
    Sie warfen den Rest der Flaschen gemeinsam ins Wasser, sie ließen sie frei wie einen Schwarm Schmetterlinge, und der Neckar nahm sie mit, fort, fort wie die Züge. Irgendwann, irgendwo weit von hier, würde das Meer sie zu glitzernden Sandkörnern zermahlen.
    »Ich habe ihn gefunden«, sagte der Junge zwischen den Zeilen leise zu Svenja. »Er wollte unbedingt alleine schlafen. Der Idiot. Ich habe ihm gesagt, dass wir zusammenbleiben müssen, nachts. Er hat mich ausgelacht.«
    »War er dabei?«, fragte Svenja. »War der Zugfütterer in der Nacht am Österberg dabei, Nashville? Hat er etwas gesehen?«
    »Nein«, sagte Nashville.
    »Aber geredet hat er immer gern«, sagte Nancy. »Mochte geheimnisvolle Sätze. Dem trau ich das zu, wenn den einer gefragt hat, ob er den Mörder von der Löwin kennt, der hat Ja gesagt.

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