Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
reden darüber … Nashville hätte gesagt, es war einer von seinen Leuten. So ein Alter, mit langem grauweißem Haar. Er hat Pfandflaschen gesammelt, am Anlagensee hinter den Schulen … Verstehst du, was das bedeutet?«
Friedel nickte sehr langsam. Aber sie war nicht sicher, ob er wirklich verstand. Er sah müde aus und ziemlich verkatert, obwohl der Morgen lange vorbei war. Sie streckte einen Arm aus, fuhr vorsichtig mit einem Finger seine Augenringe nach. »Friedel? Was hast du gestern Abend noch gemacht?«
»Kater Carlo hat mich mitgeschleift zu einer Party …« Er zuckte die Schultern. »Irgendwann nachts bin ich in dem schrägen Garten gelandet, bei meinen Großeltern. Ich schlafe manchmal bei denen … Ich wäre bei dir geblieben, das weißt du. Du hast mich nach Hause geschickt. Also.«
Sie sah ihn mit seiner grünen
Neckarmüller
-Schürze hinter der Theke verschwinden, während Nils an dem großen Tisch irgendetwas erzählte. Die anderen lachten. Trinksprüche wurden in die Bierluft geworfen wie Bälle.
»Du hättest auch zu uns kommen sollen, Gunnar«, sagte eine ältere Stimme, gutmütig und sonor. »Warum bist du nie eingetreten?«
Gunnar? Wie viele Leute gab es in Tübingen, die Gunnar hießen?
»Zu wenig Zeit.« Nur einen. Und dies war seine Stimme. Gunnar Holzen. »Du weißt, ich habe immer gearbeitet nebenbei …«
»Und er trinkt nur Kaffee«, sagte jemand anders. »Ich weiß nicht, ob die Auswahl an Kaffeesorten im Verbindungshaus groß genug ist.«
Svenja drehte sich langsam um und sah zu dem großen Tisch hinüber. Es dauerte, bis sie Gunnar zwischen der sorgenfreien Zuversicht der Farbenträger fand. Er saß zwischen zwei alten Herren. Der eine, silberhaarig, mit dem Gesicht eines betagten Dachses, sprach mit ihm wie mit einem Kind.
»Junge, das Leben besteht nicht nur aus Arbeit«, sagte er. »Man muss sich auch mal ein bisschen Spaß gönnen. Du vereinsamst uns noch in deiner Hütte am Fluss.« Er winkte Friedel und zeigte auf die Kaffeetasse vor Gunnar. »Könnten Sie die gegen ein Bier austauschen?«
»Ich glaube, um mich braucht sich niemand Sorgen zu machen«, sagte Gunnar, freundlich, aber bestimmt. Die ewige Müdigkeit lag auf ihm wie ein Mantel, Svenja konnte sie sehen, und er straffte die Schultern, um sie abzuschütteln. »Und ich möchte kein Bier, danke. Ich muss heute Nacht noch was für meine Doktorarbeit tun. Von selber schreibt sie sich nicht fertig.«
Der Silberdachs ließ sein Glas gegen das von Nils klirren – Nils, der so viel jünger war als Gunnar und sich dort in der Gesellschaft am Tisch so viel wohler fühlte, man sah es deutlich. »Wem gehört die Zukunft?«, fragte der Silberdachs. »Die Zukunft gehört denen, die sie nicht allzu ernst nehmen.«
»Vielleicht grillen wir demnächst mal wieder, oben, bei den Roßwiesen«, sagte Nils. »Grillen und Caipi, und überreden dich, mitzukommen. Es gibt ja Zeichen und Wunder.«
»Und hoffentlich Kaffee«, sagte Gunnar.
Er sah in seine leere Tasse, als liefe dort eine Filmszene ab. Eine Filmszene, die ihm nicht gefiel. Dann blickte er auf und versuchte, höflich zu lächeln. Aber Svenja sah, wie schwer es ihm fiel. Warum war er hier? Was tat Gunnar Holzen am Tisch der Burschen?
»Svenja?«, sagte Friedel hinter ihr. »Dein Bier?«
»Ich glaube, ich habe es mir anders überlegt«, sagte Svenja. »Kann ich stattdessen einen Kaffee haben?«
»Sonst geht’s dir gut?« Friedel schüttelte den Kopf. Er blieb einen Moment lang neben ihr stehen und schien darauf zu warten, dass sie noch etwas sagte – dass das angefangene Gespräch von vorher weiterging. Aber es gab nichts mehr zu sagen. Es gab nur noch zu sehen und zu hören.
Sie sah, wie Friedel wenig später ein Bierglas vor Gunnar stellte. Sie hörte die ganze Gesellschaft in einem tiefen Singsang verlangen: »Aaaaus-trinken!«
Gunnar hob das Glas und stand auf. Und im selben Moment wurde klar, warum er hier war. Der Grund trat hinter den alten Silberdachs und hatte dunkle Locken und Mandelaugen.
»Papa?«, fragte der Grund. »Was soll das?«
Der Silberdachs zuckte mit den Schultern und zog Julietta mit einem Arm an sich. »Ich versuche nur, meinem Schwiegersohn in spe den Ernst des Lebens auszureden.«
»Also prost!«, sagte Gunnar. »Auf diejenigen hier, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, statt ihn zu erben.« Damit drehte er das Glas ganz langsam um. Das Bier ergoss sich schäumend gelb auf die Tischplatte, spritzte nach allen
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