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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Wiese rennen, ihn am Handgelenk packen.
Spinnst du? Du klaust meine Zigaretten, um sie an Kinder zu verkaufen, die nur ein paar Jahre älter sind als du? Weißt du, was Zigaretten mit
Kinderlungen tun? Und weißt du, wie wenig Geld mir bleibt, wenn ich dich durchfüttere und einkleide und die Miete zahle? Schön, die zweihundert Euro gibt es noch, als Notreserve, aber …
    Sie rannte nicht. Sie blieb stehen, sah ihn an – seinen Rücken in dem zu weiten T-Shirt, seine dünnen Beine in der zu großen Hose. Und sie sah die Schüler an. Älter, größer, schwerer als Nashville und dennoch … kindlicher. Sie versuchten, erwachsen und gefährlich zu wirken, verwegen. Doch ihre nichtssagenden Gesichter waren die von Zwiebackreklame. Die Markenaufdrucke auf ihren Pullovern gaben ihnen das Selbstbewusstsein, auf Nashville hinabzusehen.
    Sie sah, dass sie sich über seine Preise ärgerten. Einer baute sich vor Nashville auf und machte eine drohende Gebärde, doch Nashville blieb ganz ruhig stehen und starrte ihn nur an. Und der größere Junge zahlte.
    Einen Moment lang fühlte Svenja etwas Stolz. Dieser kleine Gauner.
    »Der hat es drauf«, flüsterte sie lächelnd.
    Svenja sah, wie er einem von ihnen etwas aus der Jackentasche zog, ohne dass der es merkte: einen Fahrradschlüssel an einem langen Band. Er sah ihn sich kurz an und steckte ihn zurück. Wäre es Geld gewesen, dachte sie, hätte er es dann behalten?
    »Komm«, sagte Svenja und merkte, dass ein breites Grinsen sich auf ihr Gesicht gemogelt hatte. »Gehen wir einen Milchkaffee finden. Dann erzähle ich dir … eine sehr seltsame Geschichte.«
    Die Tische des
Pfauen
waren alle besetzt. Sie landeten ein paar Meter weiter, am Ende der Straße, im
Hirschen
, und weil dort auch alle Straßentische besetzt waren, landeten sie drinnen.
    Es war erstaunlich: Die Anwesenheit von Svenjas Mutter schien die Stadt zu verändern. Auch hier war alles sauber, hell und freundlich. Leise Musik perlte die Wände entlang, das Geschirr war nicht ganz regelmäßig und sehr handgemacht, oder fußgemacht, schwer zu sagen.
    Sie bestellten ein Frühstück, das aus tausend kleinen bunten Dingen auf einem großen Teller bestand, und Svenja musste an Kater Carlo und Thierry denken und an ihre Methode, Frühstücke zu teilen.
    »Also«, begann sie schließlich. »Es ist so. Mir ist ein Kind zugelaufen. Sag jetzt nichts, hör nur zu, ja? Er ist neun Jahre alt, oder vielleicht dreizehn. Er kann inzwischen seinen Namen schreiben und die Wörter HASE und VIEL und NASS . Er spielt Akkordeon, und seine Mutter ist tot. Ich bin jetzt seine Mutter.« Sie lauschte dem letzten Satz eine Weile nach. »Nein, das ist nicht wahr. Ich weiß nicht, was ich für ihn bin. Er tut so vieles verkehrt herum … und sieht so vieles verkehrt herum. Man kann eigentlich nie sicher sein, wie er die Dinge wirklich sieht.«
    Ihre Mutter sah sie lange an. »Ich sage nichts«, meinte sie schließlich. Wartend.
    Da begann Svenja noch einmal, und diesmal begann sie von vorne, und sie erzählte die ganze Geschichte. Es war gut, zu erzählen, und es gab nur zwei Dinge, die sie ausließ: zwei tiefe Schnitte.
    In ihrer Erzählung waren Sirja, die Löwin, und der Zugfütterer beide ihre eigenen Tode gestorben. Woran man eben so stirbt, zwischen den Zeilen. Es gab keinen Mörder.
    »Nashville«, sagte ihre Mutter schließlich, als müsste sie das Wort auf der Zunge schmecken. »Das ist alles sehr … ungewöhnlich.«
    Und Svenja dachte, sie würde jetzt sagen, dass das alles nicht ging, dass sie Nashville abgeben musste. Ihre Mutter legte eine Hand auf Svenjas Hand.
    »Das, was du da tust …«
    »Ich weiß, es ist verkehrt, aber …«
    »Nein.« Svenjas Mutter sah erstaunt aus. »Es ist bewundernswert! Aber es ist auch unheimlich anstrengend. Und ich weiß nicht, ob … ob du das auf die Dauer schaffen wirst. Kinder sind … schwieriger, als man denkt.«
    Da lachte Svenja. »Glaub mir«, sagte sie, »neben diesem Kind ist jedes andere einfach.« Sie fühlte sich unsagbar erleichtert; es war, als hätte eine höhere Autorität sie von einer Schuld freigesprochen, die sie die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte.
    »Ich kann dir nicht mal erklären, warum ich ihn mag«, flüsterte sie und lächelte in ihre leere Kaffeetasse. »Er ist nicht kindlich oder niedlich, nichts. Er wäscht sich jetzt regelmäßig, ansonsten sieht er immer noch vollkommen verwahrlost aus. Es ist ein Wunder, dass seine Zähne einigermaßen heil

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